Wie protestantisch sind wir Evangelische? Rückschau und Ausblick

Am 31.Oktober ist das Ziel erreicht: Das Reformationsjubiläum ist nach einem Jahr auf seinem Höhepunkt. Einmalig ist, dass dieser Tag in Deutschland ein gesetzlicher Feiertag sein wird. Hinter uns liegen auch 10 Jahre Luther-Dekade der evangelischen Kirche, Themen der Reformation sind auf vielfältige Weise in den Gemeinden behandelt worden. Es ist zu begrüßen, dass auch die katholische Kirche bei den Feierlichkeiten des Jubiläums im ökumenischem Geist dabei war. Es geht schon lange nicht mehr um konfessionelle Abgrenzung.

Es stellt sich aber auch die Frage: Wie protestantisch ist unsere Evangelische Kirche noch? Der Name Protestant war in den Jahren nach dem Thesenanschlag eher ein Schimpfwort von Seiten der katholischen Kirche, hat sich aber dann als eine Ehrenbezeichnung der protestantischen Stände erwiesen. Zurück geht der Name Protestant auf den 2.Reichstag 1529 in Speyer, als die reformatorischen Reichsstände vor dem Kaiser gegen das Wormser Edikt, das die Zurückname kirchlicher Neuordnung anordnete, protestierten. Ein Jahr später 1530 auf dem Reichstag in Augsburg legten die Protestanten ihr „Augsburger Bekenntnis“ ab.

Im Laufe der Kirchengeschichte konnten die evangelischen Kirchen sich gegenüber dem Kaiser und der katholischen Kirche behaupten. Was ist von dem protestantischen Geist geblieben? Die reformatorische Sache war längst nicht mehr eine rein theologisch-kirchliche Angelegenheit. Die Landesherren und Fürsten, die sich der Reformation angenommen hatten, vertraten den evangelischen Glauben auch politisch. Nach dem 30jährigen Krieg und dem Westfälischen Frieden herrscht konfessioneller Friede. Auf evangelischer Seite waren Fürsten, Könige und später Kaiser unter „Thron und Altar“ Sachwalter der Kirche.

Der protestantische Geist führte ein Dornröschenschlaf. Aber vor allem im 19.Jahrhundert entstanden freie Kirchen und Gemeinden, in denen der Hauch dieses protestantischen Geistes sich Luft verschaffte. Nach 1918/1919 wurden die evangelischen Landeskirchen aus der Obhut der Obrigkeit entlassen und mussten sich selbst neu organisieren. Die 15 Jahre bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 in Deutschland hat aber wohl nicht gereicht die protestantische Seite der Landeskirchen so zu stärken, dass gegen Terror und Willkür des NS Regimes protestiert werden konnte. In der Barmer Bekenntnissynode 1934 ging es vor allem darum, die Kirchen vor dem Einfluss des Staates zu schützen. Die daraus entstandene Bekennende Kirche blieb aber im Gegensatz zu den Deutschen Christen eine Minderheit.

Nach 1945 mussten sich die evangelischen Kirchen neu sammeln. In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass die evangelischen Kirchen ihr protestantisches Profil noch nicht wieder geschärft haben. Auch in der DDR tat sich die evangelische Kirche schwer mit der protestantischen Tradition. Es gab kritische Basisgruppen in einzelnen Gemeinden, aber offiziell bemühten  sich Kirchenleitungen um Wohlwollen des Staates. Die Auffassung, dass „der Sozialismus dem Evangelium eher entspricht, als der Kapitalismus“, war durchaus unter Theologen vertretbar. In den „Wendemonaten“ 1989 war aber etwas von dem protestantischen Geist vor allem bei den Friedensgebeten zu spüren.

Wenn man sich heute die Evangelischen Kirchentage zum Maßstab evangelischen Lebens nimmt, spiegelt sich in ihnen eher ein Zeitgeist wider, als die befreiende Botschaft des Evangeliums. Der Berliner Politikwissenschaftler Klaus Schroeder beurteilt die EKD, dass sie „eindeutig dem linken Spektrum zuzuordnen sein.“ „Kirchentage seinen oft Vorfeldveranstaltungen links-grüner Parteien…“, so eine andere kritische Einschätzung. In offiziellen kirchlichen Verlautbarungen kann man durchaus eine angepasste Staatsnähe erkennen. Das wurde vor allem in der Frage der Gender-Ideologie, die in kirchlichen Kreisen sich wiederfindet und in der positiven Bewertung der „Ehe für alle“ deutlich. Eine kritisch-protestantische Einstellung zum Zeitgeschehen findet man selten.

Quo vadis Kirche? Wohin treibt die evangelische Kirche? War das Reformationsgedenken eher „die Verehrung der Asche – oder die Weitergabe des Feuers“? Passt sie sich dem Mainstream einer ideologisierten Politströmung an oder besinnt sie sich auf den freien protestantischen Geist der Reformation?

(foto: commons.wikimedia.org text fm)

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