Dekan Dr. Matthias Büttner

„Wer hat´s erfunden?“ | Predigt zum 10. Sonntag nach Trinitatis in St. Johannis & St. Gumbertus (Ansbach)

„Wer hat´s erfunden?“
Predigt zu Sach 8,20-23
10. Sonntag nach Trinitatis, 4. August 2024
St. Johannis, St. Gumbertus, Ansbach

Liebe Gemeinde!

Woher kommt nur dieser Hass auf die Juden? Als am 7. Oktober vergangenen Jahres die Terrororganisation Hamas Israel angegriffen hat, hat sie weder Armeeposten noch militante Siedler angegriffen. Die Hamas hat den Kibbuz Beeri angegriffen, „ein Dorf, in dem mehrheitlich Menschen lebten, die den Traum einer Versöhnung mit den Palästinensern lebten“ mit vielen Friedensaktivisten.i Hinsicht der Reaktion auf diesen Angriff kann man die israelische Regierung kritisieren. Aber man kann nicht die Hamas als etwas anderes bezeichnen als das, was sie ist: eine Terrororganisation. Also noch einmal: Woher kommt dieser Hass auf die Juden? 

Hören wir beim Propheten Sacharja im 8. Kapitel: 20So spricht der Herr Zebaoth: Es werden noch Völker kommen und Bürger vieler Städte, 21und die Bürger der einen Stadt werden zur andern gehen und sagen: Lasst uns gehen, den Herrn anzuflehen und zu suchen den Herrn Zebaoth; wir wollen mit euch gehen. 22So werden viele Völker und mächtige Nationen kommen, den Herrn Zebaoth in Jerusalem zu suchen und den Herrn anzuflehen. 23So spricht der Herr Zebaoth: Zu jener Zeit werden zehn Männer aus allen Sprachen der Völker einen jüdischen Mann beim Zipfel seines Gewandes ergreifen und sagen: Wir wollen mit euch gehen, denn wir haben gehört, dass Gott mit euch ist. 

Was bedeutet das? Wer also den Herrn Zebaoth und damit den einen und einzigen Gott finden will, der muss mit ihnen gehen: mit Israel, mit den Juden. Und wenn es der Zipfel des Gewandes eines Juden ist, ohne sie gibt es keinen Weg zu Gott. Daher lässt der Prophet Sacharja die Völker aller Sprachen sagen: Wir wollen mit euch gehen, denn wir haben gehört, dass Gott mit euch ist. 

Ohne den Juden Jesus, ohne die Juden führt kein Weg zu Gott. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Ob von daher der Hass auf die Juden kommt? 

Vor 90 Jahren im Jahr 1934 entstand mit der sogenannten Bekennenden Kirche eine kirchliche Widerstandsbewegung gegen die Ideologie des Nationalsozialismus. Gründungsdokument war die Barmer Theologische Erklärung. Darin wird als falsche Lehre verworfen, „dass der Staat ‚die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens‘ sein solle“. Und auch und gerade der nationalsozialistische Staat wird an seine Verantwortung auch vor Gott unmissverständlich erinnert.ii Widerstand dagegen kam ausgerechnet im Namen Ansbachs. Im sogenannten Ansbacher Ratschlag, verfasst von zwei Erlanger Theologieprofessoren, die sich dreist auf den ursprünglichen Ansbacher Ratschlag aus dem Jahr 1524 von Johann Ruhrer berufen, heißt es: „In dieser Erkenntnis danken wir als glaubende Christen Gott dem Herrn, dass er unserm Volk in seiner Not den Führer als ‚frommen und getreuen Oberherrn‘ geschenkt hat und in der nationalsozialistischen Staatsordnung […] ein Regiment mit ‚Zucht und Ehre‘ bereiten will.“iii 

„Man kann sich nur wundern über die politische Naivität der Autoren des ‚Ansbacher Ratschlags‘, die noch im Sommer 1934 Hitler mit einem frommen Kurfürsten der Reformationszeit und den nationalsozialistischen Totalstaat mit der ‚Zucht und Ehre‘ einer patriarchalischen Obrigkeit von ehedem verwechseln konnte.“iv 

Dann kommt das Jahr 1938 und die Reichpogromnacht. Mit beispielloser Gewalt wird gegen die Juden in Deutschland vorgegangen. Von wegen „Zucht und Ehre“. Der Theologe Karl Barth, der auch die Barmer Er-klärung verfasst hat, wird nun ganz deutlich. In einem Vortrag nur wenige Wochen nach der Reichspogrom-nacht sagt Karl Barth: 

„Aber der eigentlich durchschlagende, biblisch-theologische Grund zu dieser Feststellung [dass sich Nationalsozialismus und Christentum gegenseitig ausschließen; M.B.] liegt ja nicht in den verschiedenen antichristlichen Beteuerungen und Handlungen des Nationalsozialismus, sondern in der Sache, die uns gerade in den letzten Wochen besonders bewegt hat, nämlich in seinem prinzipiellen Antisemitismus. […] Wenn das geschieht, was in dieser Sache in Deutschland jetzt offenkundig beschlossen und schon ins Werk gesetzt ist: die ‚physische Ausrottung‘ gerade des Volkes Israel, der Verbrennung gerade der Synagogen und Thorarollen, die mit größter Abscheu einhergehende Ablehnungv des ‚Judengottes‘ und der ‚Judenbibel‘ als Inbegriffs alles dessen, was dem deutschen Menschen ein Greuel sein soll – dann ist eben damit […] darüber entschieden: da wird die christliche Kirche in ihrer Wurzel angegriffen und abzutöten versucht. […] Was wären, was sind wir denn ohne Israel? Wer den Juden verwirft und verfolgt, der verwirft und verfolgt doch den, der für die Sünden der Juden und dann und damit erst auch für unsere Sünden gestorben ist. Wer ein prinzipieller Judenfeind ist, der gibt sich als solcher, und wenn er im übrigen ein Engel des Lichts wäre, als prinzipieller Feind Jesu Christi zu erkennen. Antisemitismus ist Sünde wider den Heiligen Geist.“vi 

Niemand wurde damals so deutlich wie Karl Barth. Wer also den Herrn Zebaoth und damit den einen und einzigen Gott finden will, der muss mit ihnen gehen: mit Israel, mit den Juden. Und wenn es der Zipfel des Gewandes eines Juden ist, ohne sie gibt es keinen Weg zu Gott. Wir bekennen heute dankbar den Umstand, dass uns der Zipfel dieses Gewandes zu erhaschen geschenkt wurde, dass wir so den einen und einzigen Gott haben finden können, ja dass wir vielmehr vor ihm gefunden worden sind. 

Jene Frau aus den Evangelien, die unter Blutfluss litt, hatte schon gewusst, was sie tat, als sie von hinten an Jesus herantrat und nur den Saum seines Gewandes berühren wollten, weil sie wusste, dass sie dann ge-sund würde.vii Auch wir Christenmenschen haben bildlich gesprochen den Zipfel von Jesu Gewand ergriffen, um zu dem einen und einzigen Gott zu gelangen. 

Was bedeutet das für uns heute? Wir Christenmenschen können zu dem ganzen Durcheinander gegenwär-tiger Nahostpolitik, das uns gegenwärtig allen zu schaffen macht, einen vielleicht überraschenden Beitrag liefern: wir können daran erinnern, dass wir – und zwar wir alle – ohne Israel, ohne die Juden gottlos wären, ja mehr noch: dass wir gottverlassen wären, weil wir von einem Gott gar nichts wüssten. Und mit wir meine ich nicht nur die Kirche, sondern im Grunde alle Menschen. Ohne Israel wäre der Nahe Osten und ganz Europa dazu eine einzige gottverlassene Gegend. 

So sagen die Völker aller Sprachen: Wir wollen mit euch gehen, denn wir haben gehört, dass Gott mit euch ist. Israel, die Juden sind unser großes Glück. 


DEKAN DR. MATTHIAS BÜTTNER, ANSBACH

i A. Deeg, GPM 78 (2024), S. 379. 
ii A. Lindt, Das Zeitalter des Totalitarismus, Stuttgart 1981, S. 173. 
iii Ebd., S. 176f. 
iv Ebd., S. 177. 
v Barth verwendet im Vortrag den Begriff „Perhorreszierung“. 
vi K. Barth, Die Kirche und die politische Frage von heute, Vortrag in Wipkingen am 5.12.1938: K. Barth, Eine Schweizer Stimme. 1938-1945, Zürich 31985, S. 89f. 
vii Mt 9,20ff.; Mk 5,21ff.; Lk 8,40ff. 

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