Dekan Dr. Matthias Büttner

Predigt zum 14. Sonntag n. Trinitatis, 18. September 2022

1 Zu der Zeit wirst du sagen: Ich danke dir, HERR! Du bist zornig gewesen über mich. Möge dein Zorn sich abkehren, dass du mich tröstest. 2 Siehe, Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht; denn Gott der HERR ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil. 3 Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Brunnen des Heils. 4 Und ihr werdet sagen zu der Zeit: Danket dem HERRN, rufet an seinen Namen! Machet kund unter den Völkern sein Tun, verkün- diget, wie sein Name so hoch ist! 5 Lobsinget dem HERRN, denn er hat sich herrlich bewiesen. Solches sei kund in allen Landen! 6 Jauchze und rühme, die du wohnst auf Zion; denn der Heilige Israels ist groß bei dir!

Liebe Gemeinde!

Das berühmte Herbstgedicht von Rainer Marie Rilke geht so: „Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren lass die Winde los.”

Ja, dieser Sommer war sehr groß. Zu groß. Das seit Tagen herrschende Regenwetter darf uns nicht darüber hinwegtäuschen. Unseren Urlaub haben wir am Comer See im nördlichen Italien verbracht, und dessen Wasserspiegel war eineinhalb Meter niedriger als üblich. Bei uns hier wurden auf den Feldern Getreide und Mais aufgrund der Trockenheit zum Teil notreif.

Als wenn das nicht genug wäre. Die Gaspreise gehen durch die Decke. Und mit ihnen die Strompreise, weil der meiste Strom in Deutschland mit Gas erzeugt wird.

Und als wenn auch das schon genug wäre, tobt in der Ukraine der Krieg. In den letzten Tagen war von ersten durch russische Politiker öffentlich geäußerten Rücktrittsforderungen gegen- über Putin zu hören. Ob das der Anfang vom Ende des Regimes im Kreml ist? Ich weiß nicht einmal, ob ich das gut oder schlecht finden soll.

Als moderne Menschen haben wir uns daran gewöhnt, dass wir über die Dinge unseres Lebens verfügen können. Zumindest über die meisten. „Früher“ haben die Menschen ängstlich gen Himmel geblickt wegen des Wetters. Doch nicht heute. Und „früher“ wusste man nicht, was die Zukunft bringen würde. Gilt doch nicht für heute.

Gilt es doch. Auch wenn nicht weniges seit früher besser, und unser Leben allgemein leichter geworden ist. Dennoch: Wir lernen gerade die neue, alte Lektion, dass wir Spielball fremder Gewalten und Mächte sein können. Wir lernen gerade, dass wir nicht über unser Leben meinen verfügen zu können, so wie wir wollen.

Wie sind die Menschen „früher” damit umgegangen? Damit, dass Dinge um sie herum ge- schehen sind oder mit ihnen geschehen sind, die ihnen überhaupt nicht gepasst haben. Unser Bibelwort aus dem Prophetenbuch Jesaja gibt uns eine auf den ersten Blick vielleicht unge- wöhnlich Antwort: die Menschen haben sich dem Zorn Gottes ausgesetzt gesehen.

Kann Gott zornig werden und aus solchem Zorn heraus etwa strafen? Eine schwierige Frage, die die Bibel mit einem vorsichtigen Ja, aber beantwortet. Ja, von Gottes Zorn ist die Rede. Aber immer dann geht es vor allem darum, dass dieser Zorn vorüber geht. So heißt es etwa in Ps 60: Gott, der du uns verstoßen und zerstreut hast und zornig warst, tröste uns wieder. (Ps 60,3)

Interessant ist, dass der Zorn Gottes in der Bibel keine Gefühlsregung meint, sondern ein Handeln. Das bedeutet, dass ich Unheil, das mich ereilt hat, mit dem Zorn Gottes begründe. Und dass dann das Unheil als von Gott gewirkt oder von Gott zugelassen betrachtet werden kann.

Eine finstere Vorstellung? Warten Sie mit Ihrem Urteil noch einen Moment. Gott straft mich – und es ist nicht irgend jemand anders, der mich straft. Das heißt: Gott wird mit meiner schwierigen Situation in Zusammenhang gebracht. Durch eine solche Vorstellung wird dann den fremden Mächten und Gewalten ihrer Macht und Gewalt genommen, weil sie nämlich Gott unterstellt werden. Dazu kommt ein Zweites: Gott ist es ja, der Unheil zugelassen hat. Und darum ist auch er es, der es wieder beenden oder heilen wird.

Der Beter in unserem Bibelwort aus dem Jesajabuch geht noch einen Schritt weiter. Er dankt Gott für dessen Zorn – und zwar für dessen zurückliegenden Zorn. Im Nachhinein sieht alles anders aus. Wer weiß, wofür die Durststrecken in unserem Leben gut sind? Der Beter in unserem Bibelwort scheint es zu wissen. Und wir? Wer weiß, wofür diese Zeit der Energie- knappheit gut ist? Am Ende schaffen wir es jetzt endlich, von fossilen Brennstoffen weg- zukommen?

Im Nachhinein sieht alles anders aus. Denn wir glauben an etwas Größeres. Wir dürfen heute schon von dem reden, was wir morgen ganz gewiss sagen können.1

Anders gesagt: wir haben Hoffnung, Zuversicht, Vertrauen. Mit den Worten unseres Beter: Siehe, Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht.

„Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren lass die Winde los.” Und jetzt? Rilke dichtete weiter: „Befiehl den letzten Früchten voll zu sein; gib ihnen noch zwei südlichere Tage, dränge sie zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein.”

Siehe, Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht; denn Gott der HERR ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil. 3 Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Brunnen des Heils. 4 Und ihr werdet sagen zu der Zeit: Danket dem HERRN, rufet an seinen Namen! Machet kund unter den Völkern sein Tun, verkündiget, wie sein Name so hoch ist! 5 Lobsinget dem HERRN, denn er hat sich herrlich bewiesen.

Anmerkungen:
1) KAY WEIßFLOG, GPM 76 (2022), S. 447.

© Dekan Dr. Matthias Büttner – Ansbach – matthias.buettner@elkb.de

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