Dekan Dr. Matthias Büttner

„Glauben ist mehr sehen“ | Predigt zu Quasimodogeniti in St. St. Johannis (Ansbach)

„Glauben ist mehr zu sehen“
Predigt zu Joh 20,19-20.24-29
Quasimodogeniti, 7. April 2024
St. Johannis, Ansbach

Liebe Gemeinde!

Der Volksmund sagt: Glauben heißt nicht wissen. Also: entweder ich weiß etwas, dann weiß ich es eben. Oder ich glaube etwas nur, dann glaube ich eben nur. Glauben bedeutet in diesem Zusammenhang Vermuten: Ich vermute, es könnte so oder so sein; ich schätze das so oder so ein. Vermuten hat aber mit dem Glauben an Gott nichts zu tun. Glauben heißt nicht, es nicht so genau wissen. Glauben heißt, mehr sehen, als man weiß.

Wir hören heute von der Person, die es wissen muss: vom sogenannten ungläubigen Thomas. Wir werden sehen, dass er so ungläubig gar nicht war, der Thomas. Der Name „Thomas“ bedeutet Zwilling. Wahrscheinlich war Thomas in der Antike der Standardname für den zweitgeborenen Zwilling. Den Menschen war es nicht geheuer, dass da zwei Personen äußerlich nicht voneinander zu unterschieden waren. Hatte man es nun mit dem erstgeborenen oder dem zweitgeborenen Zwilling zu tun? Man konnte sich nie sicher sein. Daher behaftete man den zweitgeborenen Zwilling mit dem Inbegriff des Zweifels und nannte ihn Thomas.i

In den drei Evangelien Matthäus, Markus und Lukas spielt der Jünger Thomas keine besondere Rolle. Das ist im Johannesevangelium anders. Hören wir bei Johannes im 20. Kapitel:

19Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, da die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! 20Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen. […] 24Thomas aber, einer der Zwölf, der Zwilling genannt wird, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. 25Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und lege meinen Finger in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, kann ich’s nicht glauben. 26Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch! 27Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! 28Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! 29Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!

Die Jünger versammeln sich hinter verschlossenen Türen aus Furcht vor den Juden, heißt es. Dazu muss man wissen, dass Juden und Christen wechselseitig der Verfolgung durch den römischen Staat ausgesetzt waren. Unter Kaiser Domitian, zu dessen Zeit das Johannesevangelium wahrscheinlich verfasst wurde, distanzierten sich viele Christen deshalb von den Juden, um selbst der Verfolgung zu entgehen.ii Umgekehrt dürften Juden durch die Verfolgung der Christen oft auch selbst in Mitleidenschaft gekommen sein, was die Spannungen zwischen beiden Religionsgruppen verstärkt.

Die Jünger hatten sich aber auch aus Angst vor den Römern hinter verschlossenen Türen versammelt. Als Anhänger eines soeben Gekreuzigten sollte man nicht unbedingt öffentlich auftreten. Da tritt Jesus mitten unter sie. Bisher war Jesus nur Maria Magdalena begegnet, die ihn zunächst gar nicht erkannt und für den Gärtner gehalten hatte. Jetzt aber begegnet Jesus seinen Jüngern und die Freude ist nach anfänglichem Erschrecken riesengroß.

Die Freude war deshalb so groß, weil sie jetzt verstanden: Jesu Tod am Kreuz war nicht das Ende. Er ist auferstanden, er lebt. Hier liegt der Keim, aus dem der christliche Glaube hervorgegangen und gewachsen ist: dass Christus für uns gestorben ist; dass auch wir einmal vom Tod auferweckt werden; dass diese Welt keine Welt des Todes, sondern des Lebens ist; kurzum, dass Christus Gottes Mensch gewordenes Wort des Lebens für diese Welt ist. Aber so weit war es noch nicht. Jetzt war da einfach die Freude darüber, dass Jesus lebt.

Einer von den Jüngern konnte aber diese Freude nicht teilen. Er war an diesem Abend der Begegnung mit Jesus nicht dabei: Thomas, der Zwilling, dem der Zweifel gleichsam in die Wiege gelegt war. Und so glaubt Thomas den anderen Jüngern kein Wort. Er sagt: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und lege meinen Finger in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, kann ich’s nicht glauben.

Ja, dann würde jeder und jede glauben. Den auferstandenen Jesus mit eigenen Augen sehen inklusive seiner Wundmale. Tatsächlich eine Woche später, also am ersten Sonntag nach Jesu Auferstehung, geschieht das Wunder erneut. Die Jünger sind wieder hinter verschlossenen Türen beisammen und diesmal ist Thomas dabei. Jesus kommt erneut durch die verschlossenen Türen und tritt unter die Jünger. Und er nimmt sich sogleich Thomas vor: Reiche deinen Finger her und leg ihn in die Wunde. Darauf antwortet Thomas: Mein Herr und mein Gott.

Dieses Bekenntnis des Thomas ist mehrfach bemerkenswert. Es gibt so viele Bilder, auf denen Thomas zu sehen ist, wie er seinen Finger in die Wundmale Jesu legt. Aber davon steht im Johannesevangelium kein Wort. Jesus bietet es ihm an. Aber Thomas geht nicht darauf ein, sondern bekennt Jesus sogleich seinen Glauben.

Mein Herr und mein Gott. Im Bekenntnis des Thomas verbirgt sich auch politische Brisanz. Wie schon gesagt, wurde das Johannesevangelium zur Zeit des römischen Kaisers Domitian geschrieben. Und der ließ sich in grenzenloser Anmaßung „Dominus et Deus noster“ anreden: „Mein Herr und mein Gott“.iii Thomas gibt dem den Titel „Herr und Gott“ zurück, der ihm gebührt: dem auferstandenen Christus.

Mein Herr und mein Gott. Es ist das einzige Mal in allen Evangelien, dass Jesus als Gott bezeichnet wird. Thomas hat es verstanden: Jesus hat nicht nur Gottes Wort verkündigt; er selbst ist Gottes Wort, er ist Gott. Das Geheimnis Jesu als wahrer Mensch und wahrer Gott wird die Theologen in den nächsten 300 Jahren intensiv beschäftigen.

Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Weil sie nämlich durch den Glauben mehr sehen können: nämlich, dass der Tod nicht das Ende ist; dass es einen Plan für mein Leben gibt und für diese Welt; dass Liebe und Vergebung die Oberhand behalten werden. All das kann ich ohne Glauben nicht sehen. So ist der Glaube, wie ein kluger Theologe einmal gesagt, die Einsicht in die verborgene, aber mächtige Wirklichkeit Gottes. iv

Am ersten Sonntag nach seiner Auferstehung hat sich Jesus Thomas und den anderen Jüngern gezeigt. Heute ist der erste Sonntag nach Ostern. Und wir freuen uns über unser Glück, glauben zu dürfen. Denn so heißt es einmal im 1. Petrusbrief: Siehe, ich lege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein; und wer an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden.

(1. Ptr 2,6)


i So Glenn W. Most in seiner Geschichte des ungläubigen Thomas, bei: Harald Schroeter-Wittke, GPM 78 (2024), S. 237f.

ii https://de.wikipedia.org/wiki/Christenverfolgungen_im_R%C3%B6mischen_Reich [abgerufen am 4.4.2024]

iii Harald Schroeter-Wittke, GPM 78 (2024), S. 237.

iv M. Josuttis, Wirklichkeiten der Kirche, Gütersloh 2003, S. 10.

DEKAN DR. MATTHIAS BÜTTNER, ANSBACH

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