Eine Geschichte vom Gut sein – aus stern.de vom 15. 2. 2018.
Sie traut ihren Augen nicht. In ihren Händen hält sie ein Trinkgeld von umgerechnet über 500 Euro. Wo gibt’s denn sowas?
In Amerika, vor vier Tagen. Da erzählt eine junge Kellnerin ihrer Kollegin während der Arbeit, dass sie ihre Wohnung nicht mehr länger bezahlen kann, obwohl sie schon zwei Jobs hat am Tag, mit fast dreizehn Stunden Arbeit. Sie wird obdachlos, sagt sie und weint. Das müssen die zwei Männer an einem Tisch der Kellnerin miterlebt haben. Als sie ihr Essen bezahlen, runden sie die Rechnung von etwa 60 Dollar auf 600 Dollar auf. Die Kellnerin traut ihren Augen nicht, als sie kurz darauf das Mäppchen mit dem Geld aufmacht. Sie dreht sich um, aber die Männer sind schon weg. Sie läuft sogar auf die Straße und sucht dort ihre Gönner. Vergeblich. Ihre nächsten Tränen sind aber dann welche aus Freude.
Geben und Danken, das ist auch die Welt. Die Welt ist nicht nur Jammern und Klagen und Schimpfen; sie besteht nicht nur aus Rächen und Heimzahlen, Krieg und Härte.
Am Beginn der Passionszeit erinnern wir uns natürlich daran, wie viel Böses geschieht und wie wenig wir oft daran ändern können. Aber die Welt ist auch Geben und Danken. Noch schöner ist es, wenn ohne Worte gegeben wird wie bei dem stattlichen Trinkgeld. Die Männer verschwinden. Sie wollen nicht als Wohltäter erscheinen, sondern eben nur helfen. Sie wollen keinen öffentlichen Dank; sie haben ihre Freude allein am Geben. Und am Gutes tun, weil sie es können.
Wir können das auch. Es muss ja nicht immer Geld sein. „Liebe deinen Nächsten“ hat weniger mit Geld zu tun, dafür einfach mit Gut sein. Es gibt viele Geschichten vom Gutsein, vom Helfen. Oft sind sie unscheinbar, aber große Hilfe. Wir brauchen diese Geschichten, um die Welt zu ertragen. Manchmal erdrücken einen die vielen Nachrichten von Macht und Ohnmacht, von Gewalt und Übergriffen, von Schmerzen an Körper oder Seele. Wir fühlen uns ratlos und ohnmächtig, wenn wir wieder von Schüssen an einer Schule hören und ein junger Mann 17 Menschen tötet.
Es ist dann wie Durchatmen, einfach gut sein zu können. Es wenigstens zu versuchen. Glauben heißt gut sein wollen zu anderen; mit Gottes Hilfe niemals bitter und abschätzig zu werden. Hilfe anbieten statt wegschauen; aufmerksam sein statt selbstverliebt; danken statt nur hinnehmen. Die beiden Männer wollen geben und erwarten keinen Dank; umso größer ist der Dank der Kellnerin, die es nicht fassen kann und vor Staunen weint.
Geben und Danken sind der schönere Welt Teil der Welt. Da macht man doch gerne unsere Welt ein bisschen schöner.
(foto bunte.de text friedhelm müller nach buhv.de)