1918, 1938, 1989: Der 9. November gilt als „Schicksalstag“ in der deutschen Geschichte. Er markiert den Beginn der ersten deutschen Republik, den Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung und den Fall der Berliner Mauer. Jedes Jahr fallen an diesem Tag Feier- und Gedenkstunde zusammen.
Alle Politiker, die sich zu diesem Datum äußern, begrüßen das Ende des ersten Weltkrieges 1918, die Ausrufung der ersten deutschen, der Weimarer Republik. Den Ausschreitungen der SA gegen jüdische Mitbürger, den Morden und Brandstiftungen der Nationalsozialisten 1938, dem weitestgehenden Schweigen und Gewährenlassen der deutschen Bevölkerung, kann man nur mit Betroffenheit, Entsetzen und Verurteilungen begegnen.
Dieses Verbrechen vor 80 Jahren ist aber nicht geeignet von Politikern dazu benutzt zu werden, sich selbst eine reine Weste zu verschaffen und andere als „Nazis“ zu verunglimpfen, nur weil kritische Fragen gestellt werden. Wer diese „Nazikeule“ in der politischen Auseinandersetzung schwingt, verharmlost die Verbrechen der echten Nazis. Niemand im politischen Spektrum will diese unsägliche Zeit des Nationalsozialismus wiederbeleben. Wer „die Nazis“ auf andere projiziert, benutzt die Geschichte als Steinbruch für die eigene Ideologie und entledigt sich der Sachauseinandersetzung.
Auch Vertreter der Kirchen, bedienen sich dieser projizierten Nazi-Zuschreibungen. Dabei wird vergessen, oder man will nicht wahrhaben, dass gerade in den 30er Jahren die sogenannten „Deutschen Christen“ nicht nur das Hitlerregime begrüßten, sondern ihm auch theologisch zuarbeiteten. Schon seit den 20er Jahren gab es maßgebliche deutsche Theologen, die mit wissenschaftlicher Akribie allen jüdischen Einfluss auf das deutsche kirchliche Leben ausmerzen wollten. Die „Deutschen Christen“ waren die Mehrheit der Christen in Deuschland. Es gab nur wenige, die den Mut hatten eine „Bekennende Kirche“ zu sein und versuchten sich dem Einfluss des Nationalsozialismus zu widersetzen.
Man hört davon, dass der Antisemitismus in Deutschland keinen Platz haben darf. Es ist aber beschämend, dass jüdische Schulen, Synagogen und andere Einrichtungen durch die Polizei geschützt werden müssen. Hat sich eine Politik, die seit Jahren 100.000e Menschen ins Land gelassen hat, die in ihrer Kultur und Erziehung eine antijüdische und antiisraelische Erziehung erlebt haben, Gedanken darüber gemacht, was das für jüdische Mitbürger in Deutschland bedeutet?
Nachdenken und auch unbequeme Fragen stellen gehört dazu, sich der Verantwortung aus einer 100jährigen Geschichte zu stellen., meint Pfarrer Friedhelm Müller.
(Foto tagesspiegel.de)