Wer weint bleibt Mensch

In Japan gibt es jetzt Kurse in denen Männer das Weinen lernen können. Das sei gut für das Betriebsklima, heißt es. Weinen ist aber viel wichtiger als nur für das Betriebsklima. Es zeigt etwas vom Wesen des Menschen. (Spiegel-online 31.8.2016),

Man kann jetzt weinen lernen. In Japan, tatsächlich. Eine Zeitung berichtet davon vor ein paar Tagen. Es gibt Kurse in Japan, teure Kurse, die sind hauptsächlich für Männer. Ganz vorne im Raum steht ein junger Mann – ein Bild von einem Mann, heißt es – der zeigt kurze Filme. Über Männer und Kinder, über kuschelige Tiere, über liebevolle Menschen und was sonst noch zu Tränen rühren kann. Meist fängt der junge Mann zuerst an zu weinen. Er wird ja dafür bezahlt. Nach und nach sollen dann die anderen weinen, hofft man. Sie sollen sich trauen. Und die Tür zu ihren Gefühlen öffnen. Es heißt ja, Männer weinen nicht gerne öffentlich. Jetzt dürfen sie.

Einer macht es ihnen vor. Bald haben alle Tränen in den Augen. Und weil alle auch noch von der gleichen Firma sind, wird das Betriebsklima besser, heißt es in dem Zeitungsbericht. Das ist der Sinn der Kurse. Männer sollen weicher werden. Dann arbeiten sie angeblich entspannter und besser zusammen. Mit anderen Männern und Frauen.

Tränen fürs Betriebsklima. Auch mal eine Idee. Als Junge sagte man oft zu mir: Männer weinen nicht. Männer sind nicht weich, sollte das heißen. Männer sind kräftig und hart. An ihnen prallen das Schwere und jeder Schmerz ab. Das ist so falsch wie dumm. Tränen sind wahr. Wie bei Bastian Schweinsteiger am vergangenen Mittwoch vor dem Länderspiel. Wer seine Tränen versteckt, versteckt auch die Wahrheit. Die Wahrheit über sich selbst.

Menschen sind nicht hart. Und sollten sie hart sein, hilft ihnen das zu nichts. Tränen zeigen, dass wir nicht alles im Griff haben. Im Gegenteil. Manchmal hat das Leben uns im Griff. Und tut nur weh. Dann muss das raus. Ich kenne einen, der hat mal bitter geweint, da war er fast dreißig. Und das Wunder – hinterher ging es ihm besser. Der Schmerz war der gleiche geblieben, war immer noch da. Das Leben war nicht anders geworden. Aber der Mann war anders geworden. Stärker durch Weinen. Es kam ihm vor, als könne er sich besser leiden, sagte er. Weil er eben nicht hart und kräftig sein musste, wie man ihm eingeredet hatte.

Natürlich kann man mit Tränen auch lügen. Um etwas  zu erreichen. Meistens sind Tränen aber ehrlich. Sie zeigen: Es ist ein Riss entstanden. Ein Riss zwischen dem, der ich gerne wäre und dem, der ich bin. Dann merke ich: Ich brauche mehr als nur mich. Ich brauche Menschen und Gott. Ich selber kann mich nicht zusammenhalten, wenn’s ernst wird. Aber andere tun das; andere Menschen und Gott. Sie tragen mich. Sie halten mich zusammen.

Wer weint, will Mensch bleiben. Einfach nur Mensch. Und will in den Arm genommen werden. Von Gott und der Welt.

(foto abendzeitung-muenchen.de/gallery text fmnach mbecker@buhv.de)

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