Dekan Dr. Matthias Büttner

Predigt zum 9. Sonntag n. Trinitatis, 14. August 2022

Jesus sagt: 14 Denn es ist wie mit einem Menschen, der außer Landes ging: Er rief seine Knechte und vertraute ihnen sein Vermögen an; 15 dem einen gab er fünf Zentner Silber, dem andern zwei, dem dritten einen, jedem nach seiner Tüchtigkeit, und ging außer Landes. Sogleich 16 ging der hin, der fünf Zentner empfangen hatte, und handelte mit ihnen und gewann weitere fünf dazu. 17 Ebenso gewann der, der zwei Zentner empfangen hatte, zwei weitere dazu. 18 Der aber einen empfangen hatte, ging hin, grub ein Loch in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn. 19 Nach langer Zeit kam der Herr dieser Knechte und forderte Rechenschaft von ihnen. 20 Da trat herzu, der fünf Zentner empfangen hatte, und legte weitere fünf Zentner dazu und sprach: Herr, du hast mir fünf Zentner anvertraut; siehe da, ich habe fünf Zentner dazugewonnen. 21 Da sprach sein Herr zu ihm: Recht so, du guter und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude! 22 Da trat auch herzu, der zwei Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, du hast mir zwei Zentner anvertraut; siehe da, ich habe zwei dazugewonnen. 23 Sein Herr sprach zu ihm: Recht so, du guter und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude! 24 Da trat auch herzu, der einen Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast; 25 und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in der Erde. Siehe, da hast du das Deine. 26 Sein Herr aber ant- wortete und sprach zu ihm: Du böser und fauler Knecht! Wusstest du, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe? 27 Dann hättest du mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen mit Zinsen. 28 Darum nehmt ihm den Zentner ab und gebt ihn dem, der zehn Zentner hat. 29 Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. 30 Und den unnützen Knecht werft hinaus in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern.

Liebe Gemeinde!

Dieses Gleichnis Jesu hat es in sich. Zunächst einmal stammt hieraus unser Rede vom „Talent”. Dann ist das Gleichnis die Grundlage für eine ziemlich steile kapitalistische These. Zum dritten liest es uns ordentlich die Leviten. Und schließlich bekommen wir trotz allem eine tröstliche und hoffnungsvolle Botschaft mit auf den Weg.

Von keinem geringerem als dem Dichterfürst Goethe stammt der Ausspruch, dass Martin Luther mit seiner Bibelübersetzung die heutige deutsche Sprache geschaffen habe. Luther selbst hat das griechische Wort für Talent „talanton” noch mit Zentner übersetzt. Tatsächlich aber wurde dieser griechische Begriff die Grundlage für unsere heutige Rede vom Talent, das jemand hat oder eben nicht hat.

Ursprünglich bezeichnet das Wort „Talent” eine Gewichtseinheit. Und zwar die schwerste, die es damals gab. Ein Talent entsprach zur Zeit Jesu 36 kg. Das ist so viel, wie ein Mensch gerade noch tragen konnte. Die drei Knechte empfangen von ihrem Chef also jeweils fünf, zwei oder eine Einheit von jeweils 36 kg. Aber was empfangen sie? Nur einen Gewichtsklotz? Nein, denn dass es sich um Silber handelt, erfahren wir an anderer Stelle: Es ist vom Geld des Chefs die Rede, und im Grie- chischen steht hier das Wort für Silber.

Der erste Knecht bekommt demnach ein Vermögen von 180 kg Silber, der zweite noch 72 kg und der dritte immerhin noch 36 kg Silber. 36 kg Silber entsprachen damals knapp 20 Jahreseinkommen eines Arbeiters, also eine ziemlich große Summe.

Zwei Knechte handeln nun mit dem ihnen anvertrauten Vermögen. Und sie haben sagenhaften Erfolg damit. Sie verdoppeln nämlich das ihnen anvertraute Geld. Das spätere Lob ihres Herrn ist ihnen gewiss. Dagegen wird der Knecht, der sein Talent vergräbt, hart bestraft, obwohl nach rabbinischem Recht das Vergraben als sicherste Aufbewahrungsmethode gegolten hat, und er das ihm anvertraute Vermögen keinem Anlagerisiko ausgesetzt hat. Das hat natürlich zu allerlei Überlegungen und auch Spekulationen geführt. Eine der krassesten ist, dass mit diesem Gleichnis Jesu einem Wohlstandsevangelium das Wort geredet würde. Wohlstandsevangelium meint, dass finanzieller Erfolg im Leben als Zeichen von Gottes Gunst zu verstehen sei. Diese Meinung vertreten einige Freikirchen vor allem in den USA. Das entspricht durchaus dem Selbstverständnis der USA als Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo man es vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen kann. Der ehemalige Vizepräsident Mike Pence zum Beispiel, ein tiefgläubiger Mann, vertritt ein solches Wohlstandsevangelium. Und die amerikanische Predigerin Paula White, die das auch vertritt, gilt als Beraterin und Vertraute von Ex-Präsident Donald Trump.

Ist persönlicher finanzieller Reichtum als durch Gott vorbestimmt zu sehen? Oder gar als Lohn für Gebete oder religiöse Verdienste? So denken die Verfechter eines Wohlstandsevangelium. Aber wie passt das zu Jesu ziemlich grundsätzlicher Kritik am Reichtum und zur sonstigen Kritik in der Bibel an irdischen Gütern ob derer Vergänglichkeit? Ich bin sehr skeptisch gegenüber einem solchen Wohlstandsevangelium. Aber immerhin zeichnet seine Vertreter in der Regel eine hohe Spenden- bereitschaft aus.

Weil das an die drei Knechte ausgegebene Vermögen so unvorstellbar groß ist, hat man immer wieder überlegt, dies Vermögen in einem übertragenen Sinn zu deuten. Also im Sinne von Talenten, die man für Gottes Sache einsetzen soll und kann. Jesus will demnach, dass wir die von Gott geschenkten Talente für sein Reich wirken lassen und nicht ungenutzt liegen lassen sollen.

Wenn ich jetzt, zumal als Pfarrer, an die Menschen denke, die von Kirche nichts wissen wollen, dann wird mir mulmig zumute. Trage ich Mitschuld durch meine vielleicht mangelhafte Ausstrahlungs- kraft? Andererseits weiß ich ja nicht den Grund, warum jemand mit Glaube und Kirche nichts zu tun haben will. Mit der Strahlkraft der Gemeinde vor Ort hat das vielleicht gar nichts zu tun. Ich vermute zudem, dass mancher, der aus der Kirche austritt, auch aus dem Staat austreten würde, wenn er könnte. Und in den neuen Bundesländern begegne ich Menschen, die nicht nur Gott vergessen haben, sondern die vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben. Trotzdem: das Gleichnis spornt mich an, durch mein Reden und Handeln die Weitergabe des Evangeliums nicht zu behindert. Oder mit anderen Worten: glaubwürdig zu sein.

Ein letzter Gedanke, der vielleicht am wichtigsten ist. Die drei Knechte bekommen von ihrem Chef Talente. Einfach so. Sie haben damit Talent. Der eine mehr als der andere. Aber jeder hat Talent. Und das kleinste Talent ist immer noch so viel wert, dass man es sich gar nicht vorstellen kann.

Das gilt auch für unsere Kirche als ganze. Sie hat Talent. Manchmal aber denke ich, wir sind als Kirche ein wenig wie der dritte Knecht geworden. Ängstlich und unterwürfig, wenn uns neue Austrittszahlen präsentiert werden, vergraben wir sogleich unser Talent. Aber mit unseren Talenten wuchern, trauen wir uns gegenwärtig zu wenig.

So lässt sich dieses Gleichnis Jesu also auch verstehen: Wir alle haben Talent. Wir hier sind ein einziger Talentschuppen. Gott hat jedem und jeder von uns viel anvertraut. Und damit können wir uns in die Welt wagen; damit können wir leben. Das Gleichnis will uns ermutigen, unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, unser Talent nicht zu vergraben. Denn wir alle haben Talent. Das ist die tröstliche und hoffnungsvolle Botschaft, die uns heute mit auf den Weg gegeben wird.

© Dekan Dr. Matthias Büttner – Ansbach – matthias.buettner@elkb.de

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