Jeder fünfte Jugendliche, heißt es (Spiegel-Online 20. Januar 2017), wacht nachts einmal auf und schaut auf sein Smartphone, will neue Nachrichten lesen oder Bilder der Freunde sehen. Dazu eine kleine Wintergeschichte.
Mittlerweile wacht sie schon von selbst auf. Anne ist knapp siebzehn und geht ins Gymnasium in der Nachbarstadt, Klasse elf. Und ist immer mittendrin, wenn etwas los ist. Anne ist eine von denen, die vergangene Woche in der Zeitung standen (Spiegel-online 20. Januar 2017). Jeder fünfte Jugendliche in ihrem Alter, heißt es, wacht nachts einmal auf und sieht auf sein oder ihr Smartphone. Schaut nach bei Facebook, Instagram, WhatsApp oder den anderen „sozialen Netzwerken“, wie sie genannt werden, ob jemand etwas Neues geschrieben oder neue Bilder verschickt hat. Meistens haben welche geschrieben, ein paar von Annes Freunden nämlich. Es ist dann meist so gegen zwei Uhr nachts. Anne freut sich, lacht auch mal leise. Sie beantwortet die Nachrichten, wenn möglich. Das geht eine halbe Stunde so, dann schläft Anne weiter. Etwas mühsam, das wieder Einschlafen. Kurz nach sechs Uhr muss sie aufstehen. Und ist müde. Kein Wunder.
Dafür war sie mitten im Leben. Selbst in der Nacht. Dabeisein ist ihr wichtig. Dazugehören ist Leben. Das würde Anne so nicht sagen, aber sie fühlt es. Abgehängt sein ist, wie nicht auf der Welt sein. Es stimmt natürlich: Einige in der Klasse sind hundemüde, wenn der Unterricht losgeht. Schön ist das nicht. Manchmal kann Anne die Augen kaum aufhalten, wenn Physik ist. Was sie sowieso nicht mag. Dann traut sie sich schon mal und holt ihr Handy aus der Tasche. Natürlich nur unter der Bank. Und schaut wieder nach, ob sie noch dabei ist, noch dazugehört.
Ein bisschen ist das wie Sucht. So atemlos auch. Dabei sein wollen, von anderen zu lesen, neue Bilder zu sehen. Das Leben schmecken. Und fühlen. Jedenfalls das auf dem Bildschirm. Sie fühlt sich dann wertvoll. Ihrer Seele tut’s gut. Auch das sagt Anne nicht so, empfindet es aber. Und noch etwas fühlt sie, unausgesprochen. Irgendwas bleibt doch leer. Trotz allem. Besonders nachts. Der Bildschirm leuchtet. Mehr leuchtet ihr nicht.
Das Leben ersetzt man nicht. Mit nichts. Wenn die schnelle Sucht vorbei ist und Anne ihre Augen wieder zu macht, bleibt noch doch ihr Sehnen. So ein Pochen, das man kaum hört. Aber weiß, dass es da ist. Ein schöner Klang von etwas, was noch viel zu weit weg ist. Dass nämlich einer da ist, der sie anschaut. Nicht vom Bildschirm, sondern ihr in die Augen schaut. Dass eine nah ist und ihr etwas ins Ohr sagt. Nicht aus dem Lautsprecher, sondern in echt ins Ohr sagt: Ich hab dich so gern. Dass jemand ist, der wie zu Hause ist bei ihr. Und sie bei ihm. Oder ihr. Dann, das könnte sein, wäre ihr ruhiger ums Herz.
Liebhaben ist immer, als schaue mal eben Gott selbst vorbei.
(foto sueddeutsche.de/leben text fm nach buhv.de)