Jom Kippur 5780 in Halle (Saale)

Soeben ist der höchste jüdische Feiertag, der Versöhnungstag, zu Ende gegangen. Der Jom Kippur ist ein Bußtag, an dem 25 Stunden gefastet wird. Viele Jüdinnen und Juden gehen in die Synagoge, selbst wenn sie das übrige Jahr keine religiösen Traditionen praktizieren. Die Gottesdienste dauern recht lang – was soll man auch anderes tun als beten, wenn Essen und Trinken nicht auf dem Tagesplan stehen

In diesem jüdischen Jahr 5780 sind die Juden in Halle (Saale) von der Polizei aus dem Gottesdienst geholt und mit Bussen weggefahren worden. Die vorgeschriebenen Gebete konnten nicht abgeschlossen werden! 

Es drohte Lebensgefahr. Gemeindevorsteher Max Privorozki: „Wir haben in der Sicherheitskamera gesehen, dass ein Mann versucht hat, sich Zugang zu der Synagoge mit Hilfe von Waffen zu verschaffen. Er hatte ein Gewehr, hat Granaten geworfen, Molotow-Cocktails. Aber Gott sei Dank hat er es nicht geschafft, reinzukommen.“ Stattdessen tötete er eine Frau vor dem nahen jüdischen Friedhof und eine weitere Person in einem Imbiss-Laden.

An Jom Kippur wird in den Gottesdiensten der (Nicht-)Opferung Isaaks gedacht. Die „Akedat Jitzchak“, die Bindung Isaaks, ist ein zentraler Text für den Tag. Das Widderhorn, das Schofar, das an diesem Tag in den Synagogen geblasen wird, erinnert an den Widder, der an Stelle Isaaks geopfert wurde.

Isaak wurde bewahrt – wie heute die etwa 60 Beterinnen und Beter in der Hallenser Synagoge bewahrt wurden. Da der Täter es aber todernst meinte, denken wir traurig an die Gemordeten und unser Mitgefühl gilt ihren Familien und Freunden.

In der Geschichte der Halleschen jüdischen Gemeinde war die Bewahrung eher Ausnahme als Regel (Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum):

  • Zu Beginn des 13.Jahrhunderts soll die jüdische Siedlung, das „Judendorf“ von Christen in Brand gesteckt und seine Bewohner vertrieben worden sein.
  • Die Pestjahre von 1348/1349 forderten unter den Juden in Halle zahlreiche Opfer. Der Rest wurde vertrieben.
  • Gegen Ende des 14.Jahrhunderts gerieten die Juden unter den Verdacht der Brunnenvergiftung; dies hatte zur Folge, dass der Pöbel die Judenhäuser stürmte, diese zerstörte und viele Bewohner umbrachte.
  • Als der Hallesche Stadtrat auf Betreiben des Theologen Nikolaus von Kues die Juden zwang, ihre Geldgeschäfte aufzugeben und besondere Abzeichen zu tragen, waren sie ihrer Lebensgrundlage beraubt und kehrten der Stadt den Rücken.
  • 1493 wurden erneut alle Juden aus Halle gewaltsam vertrieben.
  • Die Hallesche Synagoge – am Großen Berlin unweit des alten Marktes gelegen – wurde 1724 „bei einem Tumulte vom Volk gestürmt“ und dabei fast völlig zerstört.
  • In der Pogromnacht 1938 wurde die Synagoge am Großen Berlin erneut in Brand gesetzt, ihre Inneneinrichtung völlig vernichtet und das Gemeindehaus geschändet.
  • Bis 1941 sind vermutlich zwei Drittel der in Halle ansässigen Juden gezwungenermaßen emigriert; die meisten der fast 600 Personen nach Shanghai, England, in die USA und nach Palästina.
  • In mehreren Transporten wurden die Zurückgebliebenen bis Dezember 1942 in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. In Halle erinnern heute mehr als 100 Stolpersteine an diese Menschen.

Hatten wir nicht in den vergangenen Jahrzehnten gedacht, die Bedrohung von Menschen in Halle und Deutschland allein aus dem Grund, dass sie Juden sind, sei vorüber?

Umso betroffener muss es Christen machen, denn in früheren Jahrhunderten sind Übergriffe, Gewalt, Mord und Totschlag mit dem Grund gegen Juden ausgeführt worden, weil man sie für „Gottesmörder“ hielt und meinte, man täte Gott einen Gefallen, wenn die Juden verfolgt würden. Die Wurzeln eines Antijudaismus, der zu den schrecklichen Greultaten im Nationalsozialismus geführt haben, liegen auch in der Theologie, dass die Kirche das neue Volk Gottes sein und alte verstoßen sein. Theologisch ist diese Sichtweise noch nicht überwunden.

(Text mit freundlicher Genehmigung https://www.kirche-und-judentum.de/jom-kippur-in-halle/ Der Text, die letzten 4 Zeilen, gibt die persönliche Meinung des Verfassers wieder)

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