„Jauchzet Gott in allen Landen“
Predigt zum Kantatengottesdienst
9. Sonntag nach Trinitatis, 6. August 2023
St. Johannis, Ansbach
1 Jauchzet Gott, alle Lande! 2 Lobsinget zur Ehre seines Namens; rühmet ihn herrlich! 3 Sprecht zu Gott: Wie wunderbar sind deine Werke!
Liebe Gemeinde!
Dieses großartige und ansteckende Gotteslob aus Psalm 66 ist die Grundlage für Bachs Kantate „Jauchzet Gott in allen Landen.“ Er komponierte sie zwar für den 15. Sonntag nach Trinitatis. Aber als eine der wenigen Kantaten aus der Feder von Johann Sebastian Bach ist sie mit einem handschriftlichen Vermerk ausgestattet, dass diese Kantate auch an anderen Sonntagen aufgeführt werden könnte. Anders gesagt: Gott zu loben und ihm zu singen geht immer.
Die Kantate „Jauchzet Gott in allen Landen“ entsteht wahrscheinlich im Jahre 1730. Da ist Bach 45 Jahre alt. Und bereits zum zweiten Mal verheiratet. Denn 10 Jahre zuvor ist seine erste Ehefrau nach kurzer Krankheit gestorben. Als wenn das nicht schon genug wäre, erfährt es Bach erst nach der Rückkehr von einer Reise. Seine Frau ist da bereits bestattet worden. Geht Gott zu loben und ihm zu singen wirklich immer?
Der zweiten Ehe Bachs entstammen 13 Kinder, von denen sieben im Kleinkindalter sterben. Manche Biographen vermuten, dass Bach durch diese Schicksalsschläge in eine Schaffenskrise geraten sei. Und dennoch findet Bach gute Gründe, Gott in allen Landen zu jauchzen. Weil der große Musiker und tiefgläubige Christ weiß, dass Unglückszeiten auch Phasen von Gottes Heilsgeschichte sind.
Das wusste auch der Prophet Jesaja. Und er hielt dies fest in einem Vers, den viele von uns kennen:
Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!
Über unzähligen Täuflingen ist dieses Segenswort gesprochen worden. Du bist mein, spricht Gott, dein ganzes Leben lang, das verspreche ich dir. Was für eine schöne Zusage am Anfang eines Lebensweges und häufig auch am Anfang eines Lebens als Eltern. Was für eine schöne Zusage, wo wir doch wissen, dass das Leben kein Ponyhof ist.
Von der Wiege bis zur Bahre: „Du bist mein.“ An dieses göttliche Versprechen wird auch bei vielen Trauerfeiern erinnert. Es ist ein großer Trost einen verstorbenen Angehörigen in Gottes Händen geborgen zu wissen. Und das nicht irgendwie anonym, sondern bei deinem Namen gerufen. Ganz persönlich. Ganz zugewandt. Im Leben wie im Sterben.
Der Prophet formuliert seine Segensworte für das Volk Gottes in schwieriger Zeit. Israel ist unter die Räder der Großmächte gekommen. Aber der Prophet wagt einen ambitionierten Blick in die Zukunft. Israel braucht keine Angst zu haben. Denn es ist ja Gottes Eigentum. Und so wird es inmitten allen Chaos seinen Platz finden. Jesaja entdeckt etwas, was die Menschen so noch gar nicht gesehen hatten. Dass Gott der Schöpfer der ganzen Welt ist und daher alles, aber auch wirklich alles in seinen Händen liegt.
Die außer Rand und Band geratenen Großmächte sind das eine. Aber Gott der Schöpfer, das ist noch einmal eine ganz andere Nummer. Und mit dieser Nummer können wir rechnen.
Gut 100 Jahre vor Johann Sebastian Bach wird in Gunzenhausen Simon Marius geboren. Als Ansbacher Hofastronom entdeckte er zeitgleich mit Galileo Galilei die vier größten Monde des Planeten Jupiter. Die Entdeckung war eine Sensation. Denn zum ersten Mal entdeckte man einen anderen Himmelskörper, um den sich wiederum Himmelskörper drehten. Simon Marius entdeckt damit auch, dass sich der Jupiter um die Sonne drehen musste und öffnet damit den Blick für das Wunder der Schöpfung.
1 Jauchzet Gott, alle Lande! 2 Lobsinget zur Ehre seines Namens; rühmet ihn herrlich! 3 Sprecht zu Gott: Wie wunderbar sind deine Werke!
Außer Rand und Band geratene Gewaltherrscher mit ihren Propagandalügen sind das eine. Aber Gott der Schöpfer, der diese Welt in ihrer ganzen Komplexität erschaffen hat und auch erhält, das ist noch einmal eine ganz andere Nummer.
Simon Marius setzte zur Himmelsbeobachtung als einer der ersten das gerade von einem deutsch- niederländischen Brillenmacher erfundene Fernrohr ein. Wenn er gewusst hätte, was sich daraus entwickeln würde. Seit Sommer vergangenen Jahres gibt es Bilder des bisher größten Weltraum-Teleskop. Die Bilder dieses Teleskop sind eine Zeitmaschine. „Es ist, als hätte ein Safaritourist ein Foto geschossen, auf dem [gleichzeitig] nebeneinander watschelnde Uramphibien, kreidezeitliche Dinosaurier und moderne Menschen zu sehen sind – und auf dem bei sehr gründlicher Inspektion sogar noch zu erkennen ist, dass die Gräser der Savanne von den ersten Mikroben der Erdurzeit besiedelt sind.“
Es ist, wie wenn Paparazzi in die Schöpferwerkstatt Gottes Einblick bekommen hätten. „Sie dringen vor bis fast an jenen Ort, an dem das Universum, wie wir es kennen, entstanden ist, und machen Schnappschüsse, die so nie zuvor gelungen sind: Fotos, auf denen zu sehen ist, wie es am ersten Tag der Schöpfungsgeschichte zugegangen ist.“ So beschrieb es das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ kurz vor dem letzten Weihnachtsfest. Und „Der Spiegel“ zitiert aus dem 1. Buch Mose: „Finsternis lag auf der Tiefe“, heißt es am Anfang der biblischen Geschichte. Dann sprach Gott: „Es werde Licht!“ Bisher galt das als religiöser Mythos. Jetzt aber gibt es Fotos.i
1 Jauchzet Gott, alle Lande! 2 Lobsinget zur Ehre seines Namens; rühmet ihn herrlich! 3 Sprecht zu Gott: Wie wunderbar sind deine Werke!
Ja, Gott hat sein Volk geschaffen und weil er seine Schöpfung liebt, wird er alles zu seiner Ehre, zu seiner Herrlichkeit hinausführen. Israel braucht keine Angst zu haben, es ist ja seines Gottes Eigentum. So tröstet der Prophet das Volk Gottes.ii Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!
Unser Bibelwort will auch uns alle Furcht vor der Zukunft nehmen. Unglückszeiten sind nämlich auch Phasen von Gottes Heilsgeschichte. Warum das so ist, darüber sagt der Prophet nichts. Aber wer glauben kann, dass alles ein Teil von Gottes Heilsgeschichte ist, bekommt eine Perspektive über alle Unglückszeiten hinaus. Es muss dabei bleiben: „Gott hat’s gewollt um seiner Herrlichkeit willen!“ Der Satz gilt heute wie damals. Und der Schluss kann nur lauten heute wie damals: Hören! Warten!iii
Mit seiner wunderbaren Gotteslob-Musik versüßt uns Bach jenes Hören und Warten. Mehr noch. Er animiert uns zum Lob Gottes. Gerade mit der wunderbaren Kantate, die wir eben gehört haben. Und wir haben es an Leib und Seele gespürt. Gott loben, zieht nach oben.
Die Kantate „Jauchzet Gott in allen Landen“ war ja nicht nur, aber eben doch auch für den 15. Sonn- tag nach Trinitatis geschrieben. Das Bibelwort für diesen Sonntag ist die Geschichte von Abraham, der Gott klagt, dass er ohne Kinder einmal dahingehen müsse und darum sein Knecht sein Erbe sein würde. Da führt Gott Abraham hinaus vor sein Zelt mitten in der Nacht und lässt ihn gen Himmel blicken: Siehst du die Sterne über dir und kannst du sie zählen? Nein? So zahlreich sollen deine Nachkommen werden. Und dein Erbe wird dein eigener Sohn sein.
Unsere Zukunftsängste sind das eine. Aber Gott, der Schöpfer, der diese Welt erhält, das ist noch einmal eine andere Nummer. Und Abraham vertraute Gott. Und es war gut so.
Gott loben, zieht nach oben. Das musikalische Gotteslob Johann Sebastian Bachs, das haben wir im Laufe dieser Bachwoche jetzt alle erlebt und gespürt, ist die wohl schönste Weise, nach oben gezogen zu werden. Wir sind alle miteinander dem Himmel ein Stück näher gekommen. 1 Jauchzet Gott, alle Lande! 2 Lobsinget zur Ehre seines Namens; rühmet ihn herrlich! 3 Sprecht zu Gott: Wie wunderbar sind deine Werke!
DEKAN DR. MATTHIAS BÜTTNER, ANSBACH
i) Der Spiegel, Nr. 52, 23.12.2022, S. 93ff.
ii) Karl Elliger, BKAT XI 1, Deuterojesaja 40,1-45, S.304
iii) K. Elliger nach Jes 42,21 in: ders., BKAT XI 1, Deuterojesaja 40,1-45, S.304f.