Dekan Dr. Matthias Büttner

„Grenzenloses Gottvertrauen“, Predigt zu Ps 46 zum Reformationstag

Grenzenloses Gottvertrauen. Das ist heute am Reformationstag unser Thema. Denn es war das grenzenlose Gottvertrauen, das Martin Luther die Reformation überhaupt durchstehen ließ.

Natürlich: am Anfang der Reformation stand die große theologische Erkenntnis Luthers, dass Gott ein gnädiger Gott ist. Am Anfang der Reformation stand auch das Entsetzen und die Wut Luthers über den Ablasshandel und die Dreistigkeit, mit der die Glaubensnöte der Menschen finanziell ausgenutzt wurden. Und es war der Ablasshandel, der Martin Luther dazu brachte, seine später berühmt gewordenen 95 Thesen an die Schlosskirche in Wittenberg zu hängen.

Dieser Thesenanschlag war nicht als Veröffentlichung gedacht. Luther wollte damit eine Diskussion im geschlossenen Kreis anstoßen: unter den Theologieprofessoren und unter Bischöfen und Priestern. Denn zu diesem Zeitpunkt war Luther noch überzeugt, dass Bischof und Papst von den Exzessen des Ablaßhandels nichts wussten.

Doch es kam anders. Ganz anders. Studenten übersetzten die für die wissenschaftliche Diskussion und daher auf Latein formulierten 95 Thesen geschwind ins Deutsche. Und mehr noch: sie verbreiteten die Thesen mit Hilfe der neuen Drucktechnik. In Windeseile verbreiteten sich Luther Thesen gegen den Ablasshandel. Jedermann und jede Frau konnte sie nun lesen bzw. sich vorlesen lassen.

Was daraufhin geschah, überstieg alles Vorstellbare. Die Reformation brach sich mit einer solchen Gewalt ihre Bahn, wie bei einem Vulkan, wo durch den ständig steigenden Druck in der Magmakammer mit einem Mal der Verschlusspfropfen im Vulkankegel weggesprengt wird. Noch hundert Jahre zuvor wurde mit der Verbrennung von Jan Huss in Konstanz der Deckel mit aller Mühe auf das System zurückgedrückt. Jetzt war er davongeflogen.

Wir sprechen ja manchmal von der ecclesia semper reformanda, also der Kirche, die stetig zu reformieren sei. Ich finde diese Redeweise unpassend. Natürlich sind immer wieder Ver- änderungen vorzunehmen in der Kirche. Das ganze Leben ist ja Veränderung. Was aber Martin Luther freiwillig und unfreiwillig zugleich auslöste, war keine Veränderung der Gottesdienst- zeiten. Es war das Auf-den-Kopf-Stellen all dessen, was damals galt. Luther löste mit seinem Protest eine Entwicklung aus, vor der er selber manchmal erschrocken ist. Dass aber Luther diesem gewaltigen Gang der Dinge überhaupt Stand gehalten hat, ist nur mit seinem grenzen- losen Gottvertrauen zu erklären.

Die Ermutigung zu solchem Gottvertrauen findet sich nur in der Bibel und dort vor allem in den Psalmen. Ganz besonders wichtig war Luther Psalm 46. Er dichtete auf diesen Psalm hin sein berühmtes Lied „Ein feste Burg ist unser Gott”. Manche bemängeln, dass in diesem Psalm das Wort „Burg” überhaupt nicht vorkommt. Doch Luther hat mit seinem Lied Psalm 46 im besten Sinne des Wortes übersetzt. Denn die Menschen zu Luthers Zeit wusste, dass eine Burg, in die man sich als einfache Bauern flüchten konnte, wenn marodierende Soldaten im Anmarsch waren, die größte Zuversicht und Stärke und Hilfe bot.

Hören wir Ps 46: 2 Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. 3 Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, 4 wenngleich das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen. 5 Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. 6 Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie fest bleiben; Gott hilft ihr früh am Morgen. 7 Die Völker müssen verzagen und die Königreiche fallen, das Erdreich muss vergehen, wenn er sich hören lässt. 8 Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz. 9 Kommt her und schauet die Werke des Herrn, der auf Erden solch ein Zerstören anrichtet, 10 der den Kriegen ein Ende macht in aller Welt, der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt. 11 Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin! Ich will mich erheben unter den Völkern, ich will mich erheben auf Erden. 12 Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz.

Grenzenloses Gottvertrauen. Und Luther hatte es. Im April 1521, viereinhalb Jahre nach dem Thesenanschlag und nach vielen weiteren Veröffentlichungen, wird Luther vor den Kaiser zitiert und zwar auf dem Reichstag zu Worms. Das war für Luther lebensgefährlich. Zwar wurde ihm freies Geleit zugesichert. Doch wie viel das wert war, zeigte 100 Jahre vorher schon die Verbrennung von Jan Hus auf dem Reichstag zu Konstanz, dem damals ebenfalls freies Geleit zugesagt worden war.

Es sind manchmal Kleinigkeiten, die das ganz Große aufzeigen, in diesem Fall Luthers grenzenloses Gottvertrauen. Und die Kleinigkeit ist ein kurzer, handgeschriebener Brief Luthers. Luther kam am 17. April nach Worms, am Tag darauf sollte er vor dem Kaiser offiziell verhört werden. Am Vorabend, wo es unsereins vor Angst wohl nur noch übel gewesen wäre, denkt Luther schon an die Zeit danach. In aller Seelenruhe schreibt er an einen ihm persönlich noch nicht bekannten Gelehrten in Wien einen Brief mit einer Freundschaftsanfrage. Der handschriftliche Brief ist erhalten geblieben und liegt heute in der Nationalbibliothek in Wien.

Luther schreibt mit klarer und ruhiger Schrift an den „weitgerühmten Cuspinian”, dass er „mitten aus dieser Unruhe” den Brief wagen würde, um „ins Album deiner Freunde” aufge- nommen zu werden. Und er schließt: „Nicht ein Strichlein werde ich widerrufen, wenn mir Christus gnädig ist.”1 Eine Freundschaftsanfrage kurz vor dem Verhör vor dem Kaiser – und dieses Verhör lediglich als „Unruhe” zu bezeichnen: das nenne ich grenzenloses Gottvertrauen. Man könnte fast neidisch werden.

Zurück in unsere Zeit. In den vergangenen acht Monaten haben sich bei uns einige bis dahin fest geglaubte Gewissheiten ins Nichts verflüchtigt. Dafür ist Neues dazugekommen. Als ich noch Pfarrer in einer Landgemeinde bei Nürnberg war, habe ich mit einigem Schaudern immer auf den ebenfalls nahe bei Nürnberg ansässigen TOP-Rüstungskonzern Diehl geblickt. Und heute? Bin ich froh, dass sich die Ukraine wehren kann.

Der frühere Bundespräsident und Pfarrer Joachim Gauck hat neulich gesagt mit Blick auf diesen Krieg: Ja, es gibt das Böse in dieser Welt. Und ich frage mich, ob wir diese Tatsache, die auch Martin Luther geteilt hat, im Laufe der Zeit einfach nicht mehr wahr haben wollten?

Am Reformationstag 2022 müssen wir bekennen: Es ist eben nicht „alles gut”. Auch wenn wir es gerne so sehen würden. Das Halloween-Gruseln, das auch heute wieder Saison hat, passt gut zu dieser „alles gut”-Illusion. Gruseln als Gaudi. Von wegen. Martin Luther hat realitätssicherer gedichtet: „Der alt böse Feind mit Ernst er’s jetzt meint; groß Macht und viel List sein grausam Rüstung ist”.

Aber Martin Luther hat auch gedichtet und darum geht es heute: „Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns doch gelingen.” Auch das wollen wir heute an diesem Reformationstag bekennen: Das Gottvertrauen soll zurückkommen. Am besten in der Form „grenzenlos”. Ja, das Wort sie sollen lassen stahn: Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht.

Was für ein Zeugnis grenzenlosen Gottvertrauens: dieser mit Freude aus der Unruhe geschriebene Brief. Dieses grenzenlose Gottvertrauen war es, das Martin Luther die Reformation durchstehen ließ. In grenzenlosem Gottvertrauen bergen auch wir uns heute. Ich glaube, dass das auch heute keine falsche Wahl ist.

DEKAN DR. MATTHIAS BÜTTNER, ANSBACH 

Anmerkungen:

1) Eigenhändiger Brief Martin Luthers an Johannes Cuspian vom 17. April 1521, Wien, Österreichische Nationalbibli- othek. Abdruck mit Übertragung in: Rudolf Leeb, Walter Öhlinger, Karl Vocelka, Brennen für den Glauben. Wien nach Luther, Ausstellungskatalog, Wien 2017, S. 286f.

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