„Heilung und Sabbat kommen zusammen“
Predigt zu Joh 5,1-16 (eigentlich 19. So. n. T.)
18. Sonntag nach Trinitatis, 19. Oktober 2025
St. Johannis, Ansbach
1Danach war ein Fest der Juden, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. 2Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein Teich, der heißt auf Hebräisch Betesda. Dort sind fünf Hallen; 3in denen lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte. 5Es war aber dort ein Mensch, der war seit achtunddreißig Jahren krank. 6Als Jesus ihn liegen sah und vernahm, dass er schon so lange krank war, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden? 7Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein. 8Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin! 9Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging hin. Es war aber Sabbat an diesem Tag. 10Da sprachen die Juden zu dem, der geheilt worden war: Heute ist Sabbat, es ist dir nicht erlaubt, dein Bett zu tragen. 11Er aber antwortete ihnen: Der mich gesund gemacht hat, sprach zu mir: Nimm dein Bett und geh hin! 12Sie fragten ihn: Wer ist der Mensch, der zu dir gesagt hat: Nimm dein Bett und geh hin? 13Der aber geheilt worden war, wusste nicht, wer es war; denn Jesus war fortgegangen, da so viel Volk an dem Ort war. 14Danach fand ihn Jesus im Tempel und sprach zu ihm: Siehe, du bist gesund geworden; sündige nicht mehr, dass dir nicht etwas Schlimmeres widerfahre. 15Der Mensch ging hin und berichtete den Juden, es sei Jesus, der ihn gesund gemacht habe. 16Darum verfolgten die Juden Jesus, weil er dies am Sabbat getan hatte.
Liebe Gemeinde,
Der Jazz entstand in einem Verschmelzungsprozess aus Elementen der afroamerikanischen Volksmusik und der europäisch-amerikanischen Marsch-, Tanz- und Populärmusik. So kann man es auf Wikipedia nachlesen. Herausgekommen ist dabei eine äußerst ansprechende Musik. In unserem Predigtwort sind auch zwei Dinge miteinander verschmolzen: die wundervolle Heilung eines seit Jahrzehnten Gelähmten auf der einen Seite; und auf der anderen Seite der Umstand, dass die Heilung am Sabbat erfolgt ist.
Wenn zwei gute Dinge zusammengekommen, entsteht etwas neues Gutes. Das war beim Jazz so. Und das gilt auch für unser Bibelwort. Heilung und Sabbat kommen zusammen und es entsteht etwas neues Gutes.
Aber zunächst gibt es Zoff. Den Schlusssatz haben wir noch im Ohr: Darum verfolgten die Juden Jesus, weil er dies am Sabbat getan hatte. „Die Juden!“ Wo dieser Ausspruch fällt, ist das Unheil nicht weit. In unserem Bibelwort stehen die Juden allgemein als Gegner Jesu im Vordergrund. Das hat damit zu tun, dass die Welt, in die das Johannesevangelium hineinschreibt, grundsätzlich eine ihm feindlich gesonnene Welt ist. In keinem anderen Evangelium wie bei Johannes ist davon die Rede, dass „die Welt“ die Gemeinde Jesu hasst. Hintergrund ist die immer größer werdende Kluft zwischen christlicher Gemeinde und jüdischer Gemeinde, aus der sie ja hervorgegangen waren. Daher werden bei Johannes „die Juden“ mit dieser feindlichen Welt in eins gesetzt. Wir kennen die furchtbare Wirkungsgeschichte dieser Sichtweise. Der Verfasser des Johannesevangeliums aber hat sie wohl nicht einmal geahnt.
„Die Juden“ sind auch hier nicht „die“ Juden – Jesus war ja selbst Jude. Es geht um Pharisäer und Schriftgelehrte als damalige Vertreter einer bestimmten Sichtweise jüdischen Glaubens. Sie suchen erstaunlich oft die Diskussion mit Jesu, was auf eine (gegenseitige) Wertschätzung schließen lässt. Sie geraten allerdings auch des Öfteren mit Jesus hart aneinander.
Hier geht es um den Sabbat. Und es geht um‘s Prinzip. Verstößt grundsätzlich alles, was man am Sabbat tut gegen das Ruhegebot? Der gesund gewordene Mensch trägt ja nur deshalb seine Liegematte, weil er nach sage und schreibe 38 Jahren endlich aufstehen und vom Teich Betesda weggehen kann. Und darf Jesus einen Menschen am Sabbat gesund machen? Oder hätte er noch bis zum nächsten Tag warten sollen, obwohl eine Beschneidung am Sabbat nach jüdischem Gesetz möglich ist? Wir sehen: Das Festhalten an einem Prinzip kann ins Absurde abgleiten. Daher betont Jesus: Der Sabbat ist für den Menschen gemacht und nicht umgekehrt. (Mk 2,27) Damit hat der Jude Jesus einen Meilenstein in der Geschichte der Menschheit geschaffen: Gesetze sind für Menschen da. Sie müssen dem Guten dienen, sonst nützen sie nichts.
Jesus macht einen Menschen gesund, der eine halbe Ewigkeit krank am Teich Betesda verbracht hat. Was für eine Heilungsgeschichte! Aber diese hat auch eine problematische Seite. Ein Pfarrer erinnert sich an einen Besuch bei einer Frau im Rollstuhl. Als sie ihn sieht, sagt sie: „Herr Pfarrer, noch ein Jahr, dann hab‘ ich ihn ein.“ Der Pfarrer verstand nicht und fragte nach. „Na, Sie wissen doch, der Kranke am Teich Betesda. Ich sitze nämlich schon 37 Jahre in dem Ding da. Ich bin gespannt, ob Ihr Herr Jesus mich nächstes Jahr auch gesund macht.“i
Wie geht es all jenen, die nicht das Glück einer solchen Heilung haben? Wir erfahren wenig über die Krankheit des Menschen am Teich Betesda. Noch weniger erfahren wir, wie sich die Heilung vollzogen hat und was Jesus genau gemacht hat. Er sagt lediglich, dass er aufstehen solle. Am Ende kann der kranke Mann gehen. Aber gibt es neben der unerwarteten Genesung nicht auch Wendungen zum Guten ohne spektakuläre Heilung? Gibt es am Ende nicht auch Trost und Stärkung in einer Krankheit?
Noch einmal zur Dame im Rollstuhl. Der Pfarrer erzählt, dass die Frau auch im 38. Jahr nicht aus dem Rollstuhl kam. Aber nach vielen Jahren der Einsamkeit traute sie sich in den Frauenkreis. Und als sie in den Raum rollte, applaudierten ihr die anderen Damen.
Unser Bibelwort will uns den Blick dafür öffnen, dass sich Gott uns heilsam zuwendet. Deswegen ist auch der Sabbat für den Menschen da – und nicht umgekehrt. Wie Gott das macht mit dieser heilsamen Zuwendung, dafür gibt es viel tausend Weisen. Paul Gerhard hat es auf den Punkt gebracht, wenn er dichtet: „Er weiß viel tausend Weisen, zu retten aus dem Tod, ernährt und gibet Speisen zur Zeit der Hungersnot, macht schöne rote Wangen oft bei geringem Mahl; und die da sind gefangen, die reißt er aus der Qual.“ (EG 302,5)
DEKAN DR. MATTHIAS BÜTTNER, ANSBACH
i Nach einem Bericht von PETER BUKOWSKI, GPM 79 (2025), S. 450.455.