Dekan Dr. Matthias Büttner

„David“ | Predigt zum 4. Sonntag nach Trinitatis in St. Johannis (Ansbach)

„David“
Predigt zu 1. Sam 24,1-20
4. Sonntag nach Trinitatis, 23. Juni 2024
St. Johannis, Ansbach

Liebe Gemeinde!

David. Sagenhafter König von Israel. Hirtenjunge, der Goliath bezwingt. Sogar der Name Jesus kommt neben Jesus von Nazareth noch bei weiteren Personen in der Bibel vor: Jesus Sirach zum Beispiel oder in abgewandelter Form als Josua. Aber der Name David kommt in der gesamten Bibel nur für diesen David vor.

Ich erinnere mich noch gut an ein Abendessen mit dem kanadischen Alttestamentler John van Seters. Es war Ende der 1990er Jahre in Erlangen, ich war damals Assistent am Lehrstuhl für Alttestamentliche Theologie. Es gab grünen Spargel und österreichischen Grünen Veltliner, als van Seters im Kreis der anderen Wissenschaftler, die sich mit dem Alten Testament beschäftigen, David einen Teflon-Helden nannte. Teflon, weil an David immer alles abperlte.

Da war sein sagenhafter Aufstieg. David kam als junger Mann an den Hof Sauls, des ersten Königs von Israel, wohl als eine Art von Musiktherapeut. Wenn er Harfe spielte, munterte das den oft schwermütigen König wieder auf. Aber war da nicht die Geschichte von David und Goliath? Goliath, der Riese in Rüstung und mit Schwert, der von David mit einem Kieselstein aus einer Hirtenschleuder besiegt wird? Ja, sie steht im 1. Buch Samuel, unzählige Generationen von Kindern hat die Geschichte fasziniert, in der der chancenlose Kleine den übermächtig Großen überwindet. Sogar eine Anti-Atomkraftinitiative gab sich in der 80er Jahren den Namen „David gegen Goliat“. Aber die Bibel bewahrt zwei Versionen der Geschichte. Am Ende des 2. Buches Samuel in einer scheinbar belanglosen Aufzählung der Heldentaten von Davids Kriegern wird ein Elhanan als Goliat-Bezwinger genannt. Aber das perlte am Teflonhelden David nur ab.

Davids Aufstieg bei Hofe wird zum Abstieg von König Saul. Das spürte dieser und wandte sich gegen David. David muss fliehen und wird zum Freischärler mit einer eigenen Guerilla-Truppe. Mit dieser bekämpft er den Hauptfeind der Israeliten damals, die Philister. Aber wie das mit Freischärlern so ist, kämpft David dann eine Zeit lang auch für die Philister. Teflon eben.

Kein Wunder, dass König Saul David nach dem Leben trachtet. Aber überraschenderweise vergilt David das Böse nicht mit Bösen. Hören wir eine fast unglaubliche Geschichte aus dem 1. Buch Samuel im 24. Kapitel: 1 Und David zog von dort hinauf und blieb in den Bergfesten bei En-Gedi. 2 Als nun Saul zurückkam von der Verfolgung der Philister, wurde ihm gesagt: Siehe, David ist in der Wüste EnGedi. 3 Und Saul nahm dreitausend auserlesene Männer aus ganz Israel und zog hin, David samt seinen Männern zu suchen bei den Steinbockfelsen. 4 Und als er kam zu den Schafhürden am Wege, war dort eine Höhle, und Saul ging hinein, um seine Füße zu decken. David aber und seine Männer saßen hinten in der Höhle. 5 Da sprachen die Männer Davids zu ihm: Siehe, das ist der Tag, von dem der HERR zu dir gesagt hat: Siehe, ich will deinen Feind in deine Hand geben, dass du mit ihm tust, was dir gefällt. Und David stand auf und schnitt leise einen Zipfel vom Rock Sauls. 6 Aber danach schlug ihm sein Herz, dass er den Zipfel vom Rock Sauls abgeschnitten hatte, 7 und er sprach zu seinen Männern: Das lasse der HERR ferne von mir sein, dass ich das tun sollte und meine Hand legen an meinen Herrn, den Gesalbten des HERRN; denn er ist der Gesalbte des HERRN. 8 Und David wies seine Männer mit diesen Worten von sich und ließ sie sich nicht an Saul vergreifen. Als aber Saul sich aufmachte aus der Höhle und seines Weges ging, 9 machte sich danach auch David auf und ging aus der Höhle und rief Saul nach und sprach: Mein Herr und König! Saul sah sich um. Und David neigte sein Antlitz zur Erde und fiel nieder. 10 Und David sprach zu Saul: Warum hörst du auf das Reden der Menschen, die da sagen: David sucht dein Unglück? 11 Siehe, heute haben deine Augen gesehen, dass dich der HERR heute in meine Hand gegeben hat in der Höhle, und man hat mir gesagt, dass ich dich töten sollte. Aber ich habe dich verschont; denn ich dachte: Ich will meine Hand nicht an meinen Herrn legen; denn er ist der Gesalbte des HERRN. 12 Mein Vater, sieh doch hier den Zipfel deines Rocks in meiner Hand! Dass ich den Zipfel von deinem Rock schnitt und dich nicht tötete, daran erkenne und sieh, dass nichts Böses in meiner Hand ist und kein Vergehen. Ich habe mich nicht an dir versündigt; aber du jagst mir nach, um mir das Leben zu nehmen. 13 Der HERR wird Richter sein zwischen mir und dir und mich an dir rächen, aber meine Hand soll nicht gegen dich sein; 14 wie man sagt nach dem alten Sprichwort: Von Frevlern kommt Frevel; aber meine Hand soll nicht gegen dich sein. 15Wem zieht der König von Israel nach? Wem jagst du nach? Einem toten Hund, einem einzelnen Floh! 16 Der HERR sei Richter und richte zwischen mir und dir und sehe darein und führe meine Sache, dass er mir Recht schaffe und mich rette aus deiner Hand! 17 Als nun David diese Worte zu Saul geredet hatte, sprach Saul: Ist das nicht deine Stimme, mein Sohn David? Und Saul erhob seine Stimme und weinte 18 und sprach zu David: Du bist gerechter als ich, du hast mir Gutes erwiesen; ich aber habe dir Böses erwiesen. 19 Und du hast mir heute gezeigt, wie du Gutes an mir getan hast, als mich der HERR in deine Hand gegeben hatte und du mich doch nicht getötet hast. 20 Wo ist jemand, der seinen Feind findet und lässt ihn im Guten seinen Weg gehen? Der HERR vergelte dir Gutes für das, was du heute an mir getan hast!

David ist nicht naiv. Dass er Saul in der Höhle verschont, beruht auch auf Eigennutz. Immerhin stehen vor der Höhle 3000 Kämpfer unter dem Befehl von König Saul, die mit Sicherheit irgendwann in die Höhe gekommen wären, wenn Saul nicht mehr von seinem vermeintlich stillen Örtchen zurückgekommen wäre. David muss sich aber auch vor seinen eigenen Männern schützen. Ein Freischärler-Truppe ist kein Kaffeekränzchen. Die Männer bekommen die Situation hautnah mit und bedrängen David, zuzuschlagen. Wenn jetzt David angekündigt hätte, lediglich ein Stück Stoff von Sauls Gewandt abzuschneiden, hätten die Männer ihn wahrscheinlich beiseite geräumt und die Sache selbst in die Hand genommen. Deshalb steht David auf, ohne etwas zu sagen und schleicht sich an Saul heran. Als er lediglich mit dem Stück abgeschnittenen Stoff zu seinen Männern zurückkommt und nicht mit einem blutbeschmierten Dolch, hat David bereits vollendete Tatsachen geschaffen. Der Königsmord ist vom Tisch.

David, der Teflonheld und Freischärler-Anführer: er hat dennoch seine religiösen Prinzipien. Er glaubt an etwas. Er respektiert Gott. Und so erklärt David seiner wahrscheinlich nicht ganz so prinzipientreuen Truppe, dass man an den Gesalbten Gottes, der Saul ja ist, nicht Hand anlegt.

Und Saul? Er dankt David. Und plötzlich nennt er ihn wieder seinen Sohn. Saul muss weinen. Und staunend fragt er: Wo ist jemand, der seinen Feind findet und lässt ihn im Guten seinen Weg gehen?

David verschont Saul. Er nutzt die Situation, die Gunst der Stunde nicht aus. Das Alte Testament kennt eben nicht nur „Auge um Auge und Zahn um Zahn“ – obwohl schon diese Regelung Gewaltspiralen, in denen Gewalt und Gegengewalt sich gegenseitig hochschaukeln, unterbunden hat. Hier bei David aber nun: Auge um nichts, Zahn um nichts. Nur ein Stück Stoff vom Gewand Sauls muss daran glauben. David übt Liebe an seinem Feind Saul. Jesus als Sohn Davids wird später sagen: liebt auch eure Feinde.

David gibt uns heute eine wichtige Lektion mit: Der glückliche Zufall ist nicht automatisch eine Fügung Gottes. Selbstverständlich gibt es Fügungen Gottes in unserem Leben. Aber nicht alles, was sich ergibt, ist eine Fügung Gottes. Oder anders gesagt: wir kommen um die Unterscheidung zwischen Zufall und Fügung nicht herum. Und ein Kriterium für diese Unterscheidung gibt uns David an die Hand: Der glückliche Zufall ist ganz bestimmt keine Fügung Gottes, wenn dabei die Schwäche eines anderen ausgenutzt wird.

Sagt uns David, der in diesem Fall kein Teflon-Held, sondern ein echter Held ist. Mit gutem Grund wird Jesus, in dessen Namen wir beisammen sind, später „Sohn Davids“ genannt.


DEKAN DR. MATTHIAS BÜTTNER, ANSBACH

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