Dekan Dr. Matthias Büttner

„Gerechtigkeit“ | Predigt zum Reformationstag, 31. Oktober 2024 in St. Johannis (Ansbach)

„Gerechtigkeit“
Predigt zu Röm 3,21-26
Reformationstag, 31. Oktober 2024
St. Johannis, Ansbach

„Wer danach tut, des Lob bleibt ewiglich.“ So klingt unsere Telemann-Kantate aus. Gemeint ist damit, auf Gott zu hören.

Hören wir jetzt aus dem Römerbrief im 3. Kapitel: 21Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. 22Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: 23Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollen, 24und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. 25Den hat Gott für den Glauben hingestellt zur Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher begangen wurden 26in der Zeit der Geduld Gottes, um nun, in dieser Zeit, seine Gerechtigkeit zu erweisen, auf dass er allein gerecht sei und gerecht mache den, der da ist aus dem Glauben an Jesus.

Liebe Gemeinde!

Wenn Menschen von sich sagen, sie seien Gerechtigkeitsfanatiker, dann hat das etwas Zweischneidiges. Ist da jemand besonders nachtragend? Oder gerade nicht? Eine Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, ist darum das Thema des Reformationstages. Martin Luther entdeckte, dass diese Gerechtigkeit etwas zutiefst Barmherziges hat – und nichts zu tun hat mit einer Abrechnung, die Gott am Ende der Zeit mit jedem Menschen vornehmen würde. Ich höre heute noch meinen Großonkel seelenruhig sagen, der im Schwarzwald zuhause und Katholik war: „Wir werden alle einmal von Gott unsere gerechte Strafe bekommen.“ Ich war damals ein Junge vielleicht von 14 Jahren und dachte bereits gut evangelisch sozialisiert, wie kann dir dieser Satz nur so leicht von den Lippen gehen?

Der Mönch Martin Luther war an dem Gedanken fast zerbrochen, dass er einmal seine gerechte Strafe von Gott bekommen könnte. Denn im Unterschied zu meinem Großonkel fürchtete Luther die Rechnung, die Gott aufmachen könnte. Was wenn am Ende jeder sündhafte Gedanke bestraft würde? Luther trieb seine Angst ins Kloster. Aber die sündhaften Gedanken waren immer noch da. Was, wenn Gott alles akribisch und gnadenlos am Ende der Zeit aufrechnen würde? Er, Luther, könnte nur in der Hölle landen; eine grauenhafte Vorstellung.

Sprung in unsere Zeit: Einer der renommiertesten Kunsthändler der Welt, David Zwirner, der mit Bildern und anderen Kunstwerken jährlich rund eine Milliarde Euro umsetzt, wurde kürzlich in einem Interview nach der zuweilen dubiosen Kunstgeschäftsszene gefragt: „Insiderhandel, Preismanipulationen, Kartellbildung: Was einen ins Gefängnis bringt, ist auf dem Kunstmarkt angeblich gängige Praxis. Wird man Sie durchs Himmelstor lassen?“ Antwort:Die Frage ist ja, wo man mehr Spaß hätte: ganz einsam mit Leo Castelli (einem nicht ganz so erfolgreichen und bereits verstorbenen Kunsthändler; Anm. M. B.) im Himmel oder in der Hölle mit den vielen lustigen Problemfällen unserer Branche?“i

Wo man mehr Spaß hätte im Himmel oder in der Hölle. Man kann als moderner Mensch über Kategorien wie Himmel und Hölle leicht schmunzeln. Aber dahinter steckt der Glaube, dass es eine höhere Gerechtigkeit gibt, die mir Verantwortung für mein Tun im Hier und Jetzt auferlegt. Der Glaube an eine höhere, göttliche Gerechtigkeit hilft damit umzugehen, wenn sich Übeltäter zu Lebzeiten ihrer Verantwortung entziehen konnten – aber nach ihrem Tod es nicht mehr werden können. Die Nicht-Existenz einer höheren, göttliche Gerechtigkeit würde umgekehrt den Triumpf des Bösen bedeuten.

Zurück zu Luther: Das Problem für Martin Luther und die Menschen seiner Zeit bestand darin, dass diese höhere, göttliche Gerechtigkeit von der damaligen Kirche und den weltlichen Mächten zu einem angsteinflößenden Popanz aufgeblasen wurde. Es ging nicht um Gerechtigkeit, sondern um Unterwerfung. Und zwar durch Angstmache. So schuf man sich gefügige Untertanen. Und da die allermeisten Menschen damals nicht Lesen konnten, waren sie dem hilflos ausgeliefert, was man ihnen als quasi biblische Wahrheit unterbreitete.

Sprung in die Zeit des Apostels Paulus: Die griechische Götterwelt aus der Feder Homers oder Hesiods war eigentlich eine höhere, vielgöttliche Ungerechtigkeit. Die griechischen Gottheiten logen und betrogen nach Herzenslust und vollbrachten eine Bosheit nach der anderen. Die Göttin Athene war so selbstverliebt, dass sie eine vermeintliche Konkurrentin schon mal in eine Spinne verwandelte. Und selbst der Göttervater Zeus stieg der schönen Europa in Gestalt eines Stier nach, um sie zu entführen. Sodom und Gomorra im Götterpantheon! Erst beim Philosophen Platon kommen das Göttliche und Gerechtigkeit zusammen.ii Der Apostel Paulus, der sich ja im griechisch-philosophischen Kontext bewegte, konnte daran anknüpfen. Allerdings denkt Paulus vom Alten Testament her.

Hier gilt Gott deshalb als gerecht, weil er den Bund mit seinem Volk einseitig aufrechterhält – auch wenn das Volk gegen den Bund verstößt. Und jetzt sind wir schon bei unserem Predigttext: Gott spricht die gerecht, die sich ihm anvertrauen. Gottes Gerechtigkeit bekommt etwas zutiefst Barmherziges.

Diese Entdeckung Martin Luthers veränderte die Welt. Plötzlich war nicht mehr die Angst vor Gott das Gebot der Stunde, sondern ein Leben mit Ausrichtung auf einen Gott, der mir hilft, dass ich mein Leben schaffen kann. Plötzlich stand nicht mehr die Angst um das eigene Seelenheil im Mittelpunkt, sondern der Mitmensch kam in den Blick. Plötzlich galt es nicht mehr, für einen guten Platz im Himmelreich zu kämpfen, sondern für eine bessere Welt. Ein Mensch mit einer Behinderung oder Krankheit war jetzt kein von Gott Bestrafter mehr, sondern Ansporn die Behinderung oder Krankheit zu lindern.

Auch heute am Reformationstag 2024 gilt Gottes Gerechtigkeit, die etwas zutiefst Barmherziges hat. Und sie ist aktueller denn je. Das Herumwitzeln eines steinreichen Kunsthändlers über Himmel und Hölle kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Gerechtigkeit in unserer Zeit ein sich verflüchtigendes Gut geworden ist. Ökonomen stellen seit langem fest, dass vermögende Menschen reicher werden und nicht-vermögende ärmer. Es gab schon immer Reiche und Arme, aber nie war der Unterschied zwischen beiden so groß. Neulich las ich von einer Journalistin in Berlin, Master-Abschluss mit 1,0, gut bezahlte Stelle, aber nur halbe Stelle, weil alleinerziehend: dass sie sich gedemütigt fühlt beim Gang zur Tafel; den sie aber gehen muss, weil die Miete so hoch ist. Ja, es wird viel gespendet.

Aber manchmal kommt mir das ein wenig wie der Ablasshandel zur Zeit Martin Luthers vor. Es kann doch nicht sein, dass wir immer mehr für die Tafel spenden, aber zugleich immer mehr Menschen auch zur Tafel gehen müssen.

Am Dienstag dieser Woche wäre die Politikerin Barbara Stamm 80 Jahre alt geworden. In Würzburg gab es ihr zu Ehren eine kleine Feier. Barbara Stamm, ich habe sie selbst kennenlernen dürfen, war so etwas wie das soziale Gewissen der CSU, darum war ihr das C und das S in Kombination sehr wichtig. Festredner war der ehemalige und erste evangelische Ministerpräsident Bayerns, Günther Beckstein. Er sprach über das Soziale in der Politik der Gegenwart. Und er sagte, dass es heute darum nicht gut bestellt sei. Und dann in Richtung des zweiten evangelischen und aktuellen Ministerpräsidenten wortwörtlich: „Ein Bild vom Döner-Essen ergibt eben mehr Follower als ein Aufsatz oder eine Rede über Armut.“iii

Vor gut 30 Jahren versammelten sich in den Kirchen in der ehemaligen DDR Menschen, um ihrem Willen nach Freiheit Ausdruck zu verschaffen. Das führte zur Wende von 1989. Heute wünsche ich mir von unserer evangelischen Kirche anstatt der unerträglichen Strukturdebatten, dass wir wieder das Barmherzige an Gottes Gerechtigkeit in den Blick nehmen, und zwar ganz konkret für unser Zusammenleben. Und dass wir als Kirche zur Plattform werden, auf der sich ein neues Miteinander von Reich und Arm entwickeln kann in unserer Gesellschaft, bevor diese zerbricht.

Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, ist das Thema des Reformationstages. Martin Luther entdeckte, dass diese Gerechtigkeit etwas zutiefst Barmherziges hat. Und ich hoffe, dass wir das auch wieder entdecken.


DEKAN DR. MATTHIAS BÜTTNER, ANSBACH

i David Zwirner in: Süddeutsche Magazin vom 25.10.2024, S. 18
ii HANS-CHRISTOPH ASKANI, GPM 78 (2024), S. 474.
iii Süddeutsche Zeitung vom 30.10.2024, S. 37.

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