Dekan Dr. Matthias Büttner

„Ein ganz anderer Stil“ | Predigt zum 1. Sonntag im Advent, 1. Dezember 2024 in St. Gumbertus (Ansbach)

„Ein ganz anderer Stil“
Predigt zu Mt 21,1-9
1. Sonntag im Advent, 01. Dezember 2024
St. Gumbertus, Ansbach

Wir hören einen Abschnitt aus dem Evangelium nach Matthäus im 21. Kapitel: 1 Als sie [Jesus und seine Jünger] nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus 2 und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt. Und sogleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir! 3 Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen. 4 Das geschah aber, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9): 5 „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.“ 6 Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, 7 und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf. 8 Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. 9 Das Volk aber, das ihm voranging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!

Liebe Gemeinde!

Jede Zeit hat ihre Herausforderungen. Eine unserer Zeit ist, dass viele Menschen nur die Informationen erhalten, die sie in ihrer Meinung bestätigen. Es ist bei nicht wenigen Menschen leider üblich geworden, sich fast ausschließlich über die sogenannten sozialen Medien zu informieren. Das Problem: Ein Algorithmus erkennt, was mein Interesse geweckt hat, und bietet mir dann nichts anderes mehr an. Hintergrund ist der Wunsch, den Nutzer zu halten, an dem sich über die von ihm selbst preisgegebenen Daten gut verdienen lässt.

Bei der Wiederwahl von Donald Trump hat sich noch ein neues Phänomen gezeigt. Mit den Algorithmen lassen sich nämlich nicht nur Vorlieben für ein neues Nobelhandy oder dergleichen steuern, sondern auch Wahlvorlieben. Eine Literaturwissenschaftlerin hat es so erklärt: „die radikalen Anhänger Trumps bekamen radikale Posts und Bilder eines aggressiven Trump, die eher Moderaten oder Unentschiedenen ‚vernünftigere‘ Äußerungen zu ökonomischen Themen und Bilder der sympathisch wirkenden Ivanka Trump.“i Auch so lassen sich Wahlen beeinflussen.

Die Menschen sehen oder lesen nur, was sie ohnehin sehen oder lesen wollen. Franz Kafka, der heuer seinen 100. Todestag hat, hat dagegen einmal gesagt: „Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen.“ii Unser Predigtwort aus dem Matthäusevangelium beißt und sticht auch: wenn man es aus der dicken Adventswatte, in das es gepackt ist, herausnimmt.

Jesus reitet auf einem Esel hinein nach Jerusalem. Eine Eselei? Mitnichten. Der Esel war ein edles und zugleich kostbares Reittier. Deswegen war es auch nicht so einfach, wie wir gehört haben, sich den Esel auszuborgen. Jesus reitet auf einem Esel hinein nach Jerusalem. Alle vier Evangelien berichten davon. Das heißt, dass diesem Ereignis eine ganz besondere Bedeutung zukommt. Am deutlichsten wird das Matthäusevangelium, denn es verrät, woher das Motiv des Eselsritts stammt: aus dem Buch des Propheten Sacharja.iii

Aber hier erwartet uns nun eine Überraschung. Matthäus hat nämlich etwas weggelassen. Bei Sacharja heißt es: „dein König kommt zu dir, gerecht und sanftmütig und reitet auf einem Esel“. Das „gerecht“ hat Matthäus weggelassen. Ich vermute, weil die Attribute des neuen Königs – sanftmütig und auf einem Esel reitend – schon genug Sprengstoff enthalten haben.

Die Menschen jubeln, als sie Jesus auf dem Esel daherreiten sehen: „Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn!“ Sie jubeln deshalb, weil ein König auf einem Esel eine Aussage ist. Könige damals kamen hoch zu Ross daher – aber ganz bestimmt nicht auf einem Esel. Und die Herrscher damals waren auch nicht sanftmütig und schon gleich gar nicht gerecht, weswegen Matthäus dieses Attribut des neuen Königs, wie gesagt, lieber auch für sich behalten hat.

Der König auf dem Esel steht für einen neuen Stil. Und der beißt und sticht, wie es Kafka formuliert hat, auch mit dem Stil, der heute in unserer Welt herrscht. Was ich meine: diese Verrohung im Miteinander, gepaart oft mit Ignoranz. Dass es während der Fußballweltmeisterschaft plötzlich 80 Millionen Bundestrainer gibt: geschenkt. Aber wenn es während einer Pandemie 80 Millionen Mikrobiologen gibt, dann wird es gefährlich. Was früher am Stammtisch an Unrat herausgehauen wurde und dann das Wirtshaus in aller Regel nicht verließ, wird nun in Sekundenschnelle in alle Welt verschickt.

Symptomatisch für diesen Stil ist für mich ein T-Shirt-Aufdruck, den Sie vielleicht auch schon wahrgenommen haben und der häufig bei jüngeren Männern zu sehen ist: „Ich muss gar nichts!“ Was ist damit gemeint? Dass ich mich an keine Regeln zu halten habe? Dass ich nur das zu Kenntnis nehme, was ich ohnehin schon kenne? Dass mir neue Erkenntnisse einfach egal sind? Dass mich nichts mehr beißt oder sticht?

„Ich muss gar nichts!“ Das wäre auch einem König Herodes zur Zeit Jesu über die Lippen gekommen. Und einem Pontius Pilatus ohnehin. Deshalb jubeln die Menschen in Jerusalem dem auf einem Esel daherreitenden sanftmütigen König zu, der eine ganze Menge müssen möchte, nämlich sanftmütig sein möchte. Und deshalb brauchen wir heute diesen sanftmütigen König. Und es ist ein Glück, dass dieser König mit seinem so anderen Stil auch in dieser Adventszeit wieder den Weg zu uns findet.

In diesem Gottesdienst verabschieden wir diejenigen, die nicht mehr dem neuen Kirchenvorstand St. Gumbertus angehören werden. Und danach führen wir unsere neuen Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher in ihr Amt ein. Der Kirchenvorstand leitet zusammen mit uns Pfarrerinnen und Pfarrern die Kirchengemeinde. Das bedeutet auch, dass er sich mit den Finanzen und der Verwaltung befasst. Aber jetzt muss ich etwas sagen, was mir ganz besonders wichtig ist: wir müssen uns viel mehr wieder mit den Inhalten unseres Glaubens befassen. Wir müssen vom Glauben reden, von dem, was trägt, was letztlich bleibt. Von dem, was hoffen lässt. Von dem, was gelassen macht trotz allem. Von dem Gott, der sanftmütig in unser Leben kommt und dabei auch mal beißt und sticht.

Uns kommt in diesen Zeiten eine besondere Verantwortung zu. Lasst uns wieder mehr von dem Lebensstil sprechen, der aus dem Glauben entspringt. Dieser Lebensstil muss nicht einheitlich sein. Aber er hat einen gemeinsamen Nenner. Und dieser Nenner ist der sanftmütige König, der heute bei uns einziehen will.

Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. 9 Das Volk aber, das ihm voranging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!

Und was kam danach? Unmittelbar nach seinem Einzug in Jerusalem geht Jesus in den Tempel, so heißt es, und komplimentiert die vielen Händler und Geldwechsler hinaus. Und Matthäus berichtet weiter: Und es kamen zu ihm Blinde und Lahme im Tempel, und er heilte sie.

Der totalen Kommerzialisierung setzt Jesus die Zuwendung zu Menschen in ihrer Not entgegen. Das wäre auch ein guter Stil für ein Wahlprogramm. Aber in erster Linie freilich für uns als Gemeinde Jesu, als Tochter Zion. Also noch einmal: Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.


DEKAN DR. MATTHIAS BÜTTNER, ANSBACH

i MARINA MÜNCKLER, Manipulation und Masse: Süddeutsche Zeitung vom 14.11.2024. Frau Münckler ist Professorin für Literaturwissenschaft an der TU Dresden.
ii Vorwort, GPM 79 (2024), S. 2
iii Dazu ROLF RENDTORFF, Theologie des Alten Testaments. Band 2 Thematische Entfaltung, S.148.

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